Was heißt „konservativ“? : Konservativismus als Selbstbetrug
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Panajotis Kondylis in den späten Neunzigerjahren Bild: F.A.Z.
Eine an den europäischen Adel gebundene Ideologie: Panajotis Kondylis’ Studie über eine gern in Anspruch genommene politische Positionierung liegt in einer Neuausgabe vor.
Auch wenn die Verlagsankündigung es gern anders hätte: Man wird dieses Buch wohl kaum einen Klassiker nennen können. Schon deshalb nicht, weil selbst Ideenhistoriker, denen das Werk am ehesten disziplinär zuzuordnen wäre, meist fragend dreinblicken, wenn man den Namen Panajotis Kondylis erwähnt. Das hat sicher viele Gründe. Einer davon ist recht profaner Natur: Kondylis’ wichtigste Bücher sind vergriffen, antiquarisch kaum und wenn doch nur zu hohen Preisen zu bekommen. In einem der dringendsten Fälle, seiner Studie zum „Geschichtlichen Gehalt und Untergang“ des Konservativismus, ist nun Abhilfe verschafft: Sechsunddreißig Jahre nach ihrem erstmaligen Erscheinen liegt sie als Neuauflage vor.
Das Leben des 1998 verstorbenen griechisch-deutschen Privatgelehrten fand spätestens nach seiner Heidelberger Promotion außerhalb der etablierten akademischen Philosophie statt. Auf den Versuch einer wissenschaftlichen Karriere – samt aller Rücksichtnahmen, die sie erfordert –, verzichtete er bewusst. Die Existenz als Außenseiter erlaubte Kondylis, sich quer zu akademischen Erwartungen zu stellen. Sie zu unterlaufen, dem akademischen Betrieb seine Dienstbarkeit für gesellschaftliche Sinngebungsbedürfnisse vorzuhalten, darin fand er sein eigentliches Aktionsfeld.
Nach Historikern der Aufklärung, die allzu sehr von der Euphorie ihres Gegenstandes gepackt waren, fand Kondylis in den Autoren, die sich der politischen und akademischen Wiederbelebungen einer konservativen Denktradition widmeten, die nächsten Opfer seiner Ideologiekritik. Schon das erste Kapitel empfiehlt ihnen, die Mumifizierung ihres Gegenstands einzuleiten: „Die Unmöglichkeit einer substanziellen Definition des zeitgenössischen ‚Konservativismus‘, und zwar qua Konservativismus, wird gerade in den Banalitäten sichtbar, mit denen man sein Wesen zu umschreiben versucht.“ Wie oft hört man heute rechts der Mitte, den Individuen sei ein bisschen mehr Verantwortungsgefühl, den Reformern ein bisschen mehr Gemächlichkeit und dem kapitalistischen Weltsystem ein paar heimelige Werte einzuimpfen? – Immer verbunden mit dem Anspruch, damit sei ein Konservativismus für das 21. Jahrhundert ausgerufen. Dass es sich bei diesem Hang zum Banalen um keine Zufälligkeit handelt, sondern um die Folge einer unwiderruflichen Entleerung und Antiquiertheit, ist Beweisziel von Kondylis’ Untersuchung.
Kein universaler psychologischer Typus
Grundlage der Beweisführung ist ein Modell der Ideengeschichtsschreibung, das Ideen ansieht als „verfügbare Waffen; wer sie verwenden wird, und das Wann und Wie hängen nicht von ihnen ab“. Es sind für Kondylis immer konkrete Gruppen, die sich auf Ideen berufen, um in einem bestimmten „Ernst der Lage“ damit Wirkung zu entfalten. Auf diese Weise bekommen sie allerdings eine eigentümliche Schlagseite, eine polemische Verzerrung. Sie werden in einen sozialpolitischen Kampf hineingezogen, der einer „eigenen Logik“ folgt, „der sich die Logik der Texte“ unterwerfen muss. Die politische Idee ist so zuallererst polemisches Element in den geschichtlichen Konflikten einer Epoche. Diese freilich nur für bestimmte Begriffe angemessene Methodologie wagt sich weit über jene mickrigen „Kontexte“ und milden „Autorintentionen“ hinaus, mit der sich manche akademische Schule der „Intellectual History“ heute begnügt.