Biographie über Leibniz : Er konnte sich virtuos verzetteln
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Gottfried Wilhelm Leibniz, um 1695 dargestellt von Bernhard Christoph Francke Bild: picture alliance / akg-images
Durch alle Domänen der Gelehrsamkeit: Michael Kempe legt eine kenntnisreiche Biographie über den Universalgelehrten Gottfried Wilhelm Leibniz vor.
Als Fontenelle im Jahr 1717 in der Pariser Akademie der Wissenschaften seine Eloge auf den ein Jahr zuvor verstorbenen Gottfried Wilhelm Leibniz hielt, nahm er schon die Schwierigkeiten vorweg, die penible Biographen mit dem umtriebigen, auf vielen Feldern mit erstaunlichen Leistungen beeindruckenden Philosophen noch haben würden. Eine chronologische Darstellung, so der Akademie-Sekretär, komme hier eigentlich nicht infrage, denn in ein und demselben Zeitraum hätte Leibniz immer über viele verschiedene Dinge geschrieben, und diese fortgesetzte Mischung diverser Materien, die abrupten Übergänge von einer zur anderen, hätten zwar ihn selbst nicht aus dem Konzept gebracht, würden aber jede am Leitfaden der Jahre voranschreitende Würdigung in Konfusion und Verlegenheit bringen. Oder kürzer gefasst: Wer strikt chronologisch vorgeht, läuft Gefahr, das zu üben, was Leibniz zweifellos virtuos (und mit seiner Arbeitsweise auch im ganz wörtlichen Sinn) beherrschte – sich zu verzetteln.
Das ändert natürlich nichts daran, dass die biographische Aufgabe nun einmal darin besteht, einer Lebens- und Denkgeschichte zu folgen. Aber man kann diesen Anspruch mildern, kann thematische und chronologische Ordnung miteinander verknüpfen, um auf eher knappem Raum zu einem Porträt von Leibniz zu kommen. So lässt sich das Konzept beschreiben, das Michael Kempe, Leiter der Leibniz-Forschungsstelle der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen, für sein populär gehaltenes Buch über „Leibniz in seiner Zeit“ gewählt hat.
Einsichten von tragfähiger Modernität
Die sieben Kapitel des Buchs setzen jeweils bei Notaten, Briefen oder Beschäftigungen eines bestimmten Tages ein. Eine lange Jugendgeschichte spart sich Kempe dabei und beginnt bei dem fast dreißigjährigen Leibniz, der während seines Aufenthalts in Paris zum ersten Mal die später geläufig gewordene Integral-Notation verwendet. Zehn Jahre später ist es dann der Leibniz, der im Harz seinen Projekten zur Verbesserung des Bergbaus nachgeht, von dem sein braunschweigischer Landesherr und Dienstgeber nicht zuletzt lebt. Noch einmal zehn Jahre später markieren die Gespräche mit Kurfürstin Sophie Charlotte und Helmont – und als auswärtiges korrespondierendes Mitglied die Nichte der Kurfürstin, Liselotte von der Pfalz – über letzte Dinge den Ausgangspunkt. Und so geht es in etwas kleiner werdenden Jahresschritten fort bis 1714 in Wien, wo Leibniz gerade eine Abschrift seiner „Principes de la nature et de la grâce fondés en raison“ anfertigt, und schließlich zurück nach Hannover, wo er im Todesjahr 1716 an einem immer noch unheimlichen Pensum von Korrespondenz mit der gelehrten, aber auch der höfisch-politischen Welt sitzt.
Mit Geschick, und vorzüglicher Kenntnis ohnehin, zeichnet Kempe ausgehend von diesen Momentaufnahmen sein Porträt von Leibniz. Die Arbeitsweisen eines durch alle Domänen der Gelehrsamkeit seinen Weg nehmenden Autors und – nicht immer glücklichen – Praktikers werden fassbar, seine Stellung am Hannoveraner Hof, seine zwar in letzter Instanz vergeblichen, aber doch nicht ganz erfolglosen Versuche, sich aus der Braunschweiger Enge Richtung Paris, London, Berlin und Wien zu absentieren oder jedenfalls auf Reisen zu sein, die wissenschaftliche wie politische Projektemacherei und nicht zuletzt natürlich konkrete Entwürfe und Leistungen, von der angestrebten metaphysischen Grundlegung wissenschaftlicher Welterschließung hin zu den Arbeiten in einzelnen Feldern, die für Leibniz noch unmittelbar miteinander und mit ihrer philosophischen Einbettung zusammenhingen.