Deutschland und Israel : Hier eine Position zu beziehen, ähnelt der Kunst des Seiltanzes
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Meron Mendel Bild: dpa
Vor dem Hintergrund gescheiterter Friedensanstrengungen: Meron Mendel unternimmt einen analytischen Streifzug mit autobiographischem Einschlag durch die deutsch-israelischen Beziehungen.
Die fünfzehnte Documenta in Kassel wird wohl nicht als Welt-Kunstausstellung im öffentlichen Gedächtnis bleiben, sondern als Anlass einer neuerlichen Antisemitismusdebatte in Deutschland. Als die Documenta-Leitung einsah, dass die Sache für sie immer bedenklicher wurde, rief sie Meron Mendel als Mediator zu Hilfe. Der Direktor der Frankfurter Bildungsstätte Anne Frank, Professor für Soziale Arbeit an der Frankfurt University of Applied Sciences und überdies regelmäßiger Beiträger in diesem Feuilleton merkte jedoch bald, dass die künstlerischen Kuratoren der Documenta, das indonesische Kollektiv Ruangrupa, zu einer echten Diskussion gar nicht bereit waren, und zog sich aus dem Geschehen zurück.
Auf den 1976 bei Tel Aviv geborenen Mendel war man gekommen, weil er sich mit dem Thema Antisemitismus als Betroffener, Wissenschaftler und Pädagoge befasst hatte. Sein jetzt erschienenes Buch „Über Israel reden: Eine deutsche Debatte“ ist ein analytischer Streifzug durch die deutsch-israelischen Beziehungen und hat zudem einen stark autobiographischen Einschlag.
Mendel ist nicht nur Deutschland, sondern vor allem auch seinem Geburtsland gegenüber kritisch. Im Prolog und im Nachwort seines Buchs erklärt er, warum das so ist: Israel werde immer mehr zu einer „defekten Demokratie“. Und er benennt ohne Umschweife einen wichtigen Grund dafür: das Scheitern aller Versuche, eine Friedensregelung zu finden und damit die Perpetuierung der Besatzung des Westjordanlandes. „Die Rede von der ‚humanen Besatzung‘ – so die Rhetorik der israelischen Politiker meiner Jugendzeit – gehört bis heute zur großen Lebenslüge vieler Israelis.“ Seine Erfahrungen als junger Soldat in Ramallah oder Hebron hätten ihm gezeigt, „dass es so etwas nicht geben kann, denn jedes Besatzungsregime funktioniert nur über die Gewalt der Besatzer und die Angst der einheimischen Bevölkerung.“
Mehr realpolitische Hintergründe als moralische Bedeutung
Mendel engagiert sich in Friedensprojekten, hat sich einer abermaligen Einberufung zum Militär entzogen, zählt zur Linken und bekennt sich als Angehöriger des „Tel-Aviv-Staates“, benannt nach der weltläufigen, liberalen, hedonistischen Mittelmeerstadt, die das Gegenbild zum orthodoxen, von Strenggläubigen und Siedlern geprägten Jerusalem ist. Er bedauert, dass Israel nach 1967 „falsch abgebogen“ sei. Aber eine Lösung für den Konflikt mit den Palästinensern hat auch er nicht — vielleicht gibt es den großen Wurf („Zweistaatenlösung“) auch gar nicht mehr, und man kann nur hoffen, dass kleinere, meist private Friedensprojekte doch Wirkung haben. Die neue israelische Regierung von Netanjahus Likud mit religiösen und politischen Extremisten hält Mendel für gefährlich und eine nationale Katastrophe.
Seit mehr als zwei Jahrzehnten lebt Mendel nun in Deutschland; er verfolgt die Diskussionen über das Verhältnis der Deutschen zu Israel ebenso wie die antisemitischen Strömungen und Aufwallungen hierzulande. Ein langes Kapitel widmet er den Spaltungen und Verwerfungen, die es bei diesem Thema unter deutschen Linken gibt. Dafür gibt es in Israel keine Entsprechung, da eine klar gezogene Linie die Anhänger eines irgendwie zu organisierenden Friedens mit den Palästinensern von jenen Israelis abgrenzt, die deren Heimatrechte im Westjordanland ablehnen. In Deutschland hat sich inzwischen der rechtsextreme Antisemitismus als die größere Gefahr vor den linken geschoben; aber Mendel erwähnt doch interessante Anekdoten, etwa Jürgen Trittins freundlichen Abgesang auf den „Kommunarden“ und Antisemiten Dieter Kunzelmann.
Ein anderes langes Kapitel widmet Mendel dem Komplex BDS. Der Bundestag hat die lose organisierte Bewegung, die zum Boykott, zum Desinvestieren und zu Sanktionen gegen Israel aufruft, in einer Resolution als antisemitisch eingestuft. Mendel kommt im Ergebnis zu keinem anderen Urteil. Doch er billigt den Palästinensern etwa zu, dass sie das Recht hätten, ihre Interessen auch im öffentlichen Diskurs (oder in Verhandlungen) kämpferisch und hart zu vertreten. So sei die Forderung nach Rückkehr der vertriebenen Palästinenser nicht per se schon antisemitisch, auch wenn damit das Ende des „jüdischen Staates“ Israel besiegelt wäre.