https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/buecher/rezensionen/sachbuch/markus-kleinerts-buch-andere-klarheit-17471750.html

Begriffsgeschichte der Verklärung : Im Bann der überirdischen Lichtgestalt

  • -Aktualisiert am

Duccio di Buoninsegnas „Verklärung Christi“, gemalt für die Predella des Altars in der Kathedrale von Siena, 1311 Bild: Picture Alliance

Diese Strahlkraft verspricht einen Platz im Himmel: Markus Kleinert führt durch fünfhundert Jahre der Verwendung des Begriffs Verklärung.

          4 Min.

          Der 6. August ist in der katholischen Kirche seit 1457 der offizielle Feiertag der Verklärung Christi. Die Geschichte, an die damit erinnert wird, ist in drei der vier Evangelien nachzulesen: Eines Tages begab sich Jesus mit Petrus, Johannes und Jakobus auf einen Berg, wo seine Kleidung plötzlich in hellem Weiß erstrahlte und er selbst von innen heraus zu leuchten begann. Zudem erschienen zwei aus dem Alten Testament bekannte Propheten – Moses und Elias. Während Jesus mit ihnen sprach, legte sich eine Wolke auf den Berggipfel, und die Stimme Gottes erklärte, der strahlende Jüngling sei sein Sohn. Schon bald nahm Jesus aber wieder seine vertraute Gestalt an, und nachdem er seinen drei Begleitern eingeschärft hatte, einstweilen mit niemandem über den Vorfall zu sprechen, stiegen sie zu den übrigen Jüngern hinab, die in der Zwischenzeit erfolglos versucht hatten, einen epileptischen Knaben zu heilen.

          Martin Luther bezeichnete dieses Ereignis in seiner Bibel-Übersetzung als die „Verklärung Christi“. Im Unterschied dazu wird in der griechischen Antike (und in den orthodoxen Kirchen des Ostens auch heute noch) der Ausdruck „metamorphosis“ verwendet. In der lateinischen Vulgata ist von einer „transfiguratio“ die Rede, und dieser Begriff ist in den romanischen Sprachen und im Englischen bis in die Gegenwart gebräuchlich. Anders als diese beiden Ausdrücke, die den Aspekt der Verwandlung betonen, steht das deutsche Wort „Verklärung“ in Beziehung zum Wort „klar“.

          Irdisches Leid und göttliche Herrlichkeit

          Jesus verwandelt sich bei seiner Verklärung nicht in etwas anderes, er zeigt sich, im Gegenteil, nur ganz klar als das, was er ohnehin schon ist. Er ist Gottes Sohn, und das erkennt man, noch vor der Bestätigung durch die Stimme, an seiner Erscheinung als überirdische Lichtgestalt. Für Luther, der dem Wort generell mehr Vertrauen schenkte als dem sichtbaren Phänomen, war diese „Klärung“ der göttlichen Natur des Jesus von Nazareth aber zugleich eine „Verklärung“, denn Jesus war ja nicht nur wahrer Gott, sondern ebenso wahrer Mensch, und als solcher hatte er bei seiner Kreuzigung nicht weniger zu leiden als jeder andere.

          Markus Kleinert: „Andere Klarheit“. Versuch über  die Verklärung in Kunst, Religion und Philosophie.
          Markus Kleinert: „Andere Klarheit“. Versuch über die Verklärung in Kunst, Religion und Philosophie. : Bild: Wallstein Verlag

          Irdisches Leid gehört jedoch nicht nur in der Person Christi untrennbar zu göttlicher Herrlichkeit, beides verbindet sich ebenso auch in der Hoffnung derer, die Christus für den Sohn Gottes halten. Für sie ist die kurzfristige Verklärung Jesu eine Gewähr dafür, dass sie selbst, so wie er, nach den Drangsalen des Erdenlebens und ihrem Tod beim Jüngsten Gericht wiederauferstehen und in den Himmel kommen. Im Jenseits wird also allen Christen eine andauernde und unwiderrufliche Verklärung zuteil. Dementsprechend unterscheidet Markus Kleinert in seinem „Versuch über die Verklärung in Kunst, Religion und Philosophie“ zwei Verwendungsweisen des Begriffs. Es gibt nicht nur die „vorübergehende Verklärung“, die nur einmal vor zweitausend Jahren stattgefunden hat und die Christus ganz allein betrifft. Es gibt auch die „endgültige Verklärung“, die alle Christen in einer noch unbekannten Zukunft nach ihrem Tod erwarten dürfen.

          Texte völlig unbekannter Autoren 

          Die Unterscheidung dieser beiden Arten von Verklärung dient dem Autor als durchgängige Orientierung für seine Argumentation. Dabei kommt er zu dem Schluss, dass die erste Variante der Verklärung zugunsten der zweiten sowohl in der akademischen Welt als auch in der Alltagskultur zunehmend vernachlässigt und marginalisiert wurde. Ob diese Diagnose zutrifft, können naturgemäß nur diejenigen beurteilen, die über ähnliche Textkenntnisse verfügen wie der Autor. Dass es solche Personen gibt, ist allerdings unwahrscheinlich, denn Markus Kleinert hat offenbar einen großen Teil sämtlicher Texte aufgespürt, die sich in den letzten fünf Jahrhunderten im deutschsprachigen Raum mit dem Thema der Verklärung befasst haben. Schon deshalb wird sein Buch für die weitere Forschung unentbehrlich sein.

          Wie der Verfasser selbst betont, möchte seine Studie einen grundlegenden Beitrag zu einer Begriffs- und Diskursgeschichte der „Verklärung“ leisten. Diesen Anspruch löst seine Untersuchung zweifellos ein. Sie stellt uns neben Vertrautem auch entlegenes und vergessenes Schrifttum vor, Texte von völlig unbekannten Autoren und völlig unbekannte Texte von bekannten Autoren, jeweils anhand von aufschlussreichen Zitaten verdeutlicht und in ein theoretisches Tableau eingeordnet, das als ein Spannungsfeld von vorläufiger und endgültiger Verklärung strukturiert wird.

          Paradiese des Konsums

          Da sich Kleinerts Buch vornehmlich mit Texten befasst, spielt das Visuelle nur eine geringe Rolle. Es werden darin zwar neunzehn Gemälde, Skulpturen, Zeichnungen und Druckgraphiken mit Schwarz-Weiß-Abbildungen dokumentiert, doch über diese Werke wird so gut wie nichts gesagt. Hier öffnet sich eine Perspektive für Überlegungen, die über die Begriffsgeschichte hinausgehen. Die Verklärung ist ja vor allem ein visuelles Ereignis. Außerdem sagt, wie schon Nietzsche erkannte, die genial komponierte Darstellung, die Raffael für dieses Ereignisses gefunden hat, mehr über die logische Struktur der Verklärung als mancher Text. Letztlich läuft diese auf das Verhältnis der bedrohlichen Macht des Realen zu deren Kompensation im Imaginären hinaus.

          Eine solche Struktur, die Lacan bereits in seiner Theorie des sogenannten „Spiegelstadiums“ analysierte, findet man in vielen Kunstwerken, wie etwa im „ Großen Glas“ von Duchamp. Auf der Logik der Verklärung beruht sogar der Status des Kunstwerkes als solchem, weil sich in dessen materiellem Substrat stets ein geistiger Gehalt verkörpert. Ihre größte Wirkung entfaltet die Verklärung jedoch in der Warenästhetik, die jedem Gebrauchsgegenstand eine imaginäre Bedeutungsdimension verleiht, um uns in die künstlichen Paradiese des Konsums zu locken. Zu Phänomenen wie diesen äußert sich Markus Kleinert nicht direkt. Da man aber trotzdem angeregt wird, darüber nachzudenken, gewinnt sein Buch zusätzlich zu seinem faktischen Nutzen auch selbst etwas von jener seltsamen Strahlkraft, die darin beschrieben wird.

          Markus Kleinert: „Andere Klarheit“. Versuch über die Verklärung in Kunst, Religion und Philosophie. Wallstein Verlag, Göttingen 2021. 277 S., Abb., geb., 29,90 €.

          Weitere Themen

          Topmeldungen

          Nach außen hin einträchtig: Der belarussische Diktator Alexandr Lukaschenko und Russlands Präsident Wladimir Putin

          Atomwaffen in Belarus : Putins jüngster Einschüchterungsversuch

          Russlands Drohungen mit Nuklearschlägen verfangen nicht wie gewünscht. Jetzt soll es die Ankündigung richten, taktische Nuklearwaffen in Belarus zu stationieren. Fachleute ziehen den militärischen Nutzen aber in Zweifel.
          Christian Lindner (r) und Volker Wissing

          Vor dem Koalitionsgipfel : Ist die FDP zu jung?

          Vom Haushalt bis zum Heizen: Überall sucht die FDP jetzt Streit, um ihre alten Anhänger aus der Wirtschaft zurückzugewinnen. Heute kommt es zum Showdown im Koalitionsausschuss.

          Newsletter

          Immer auf dem Laufenden Sie haben Post! Die wichtigsten Nachrichten direkt in Ihre Mailbox. Sie können bis zu 5 Newsletter gleichzeitig auswählen Es ist ein Fehler aufgetreten. Bitte versuchen Sie es erneut.
          Vielen Dank für Ihr Interesse an den F.A.Z.-Newslettern. Sie erhalten in wenigen Minuten eine E-Mail, um Ihre Newsletterbestellung zu bestätigen.