Kurt Gödels Notizbücher : Mehr Logik braucht das Leben
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Kam nicht leicht zu Entschlüssen: Kurt Gödel 1935 Bild: Picture-Alliance
Ableitungen aus Maximen: Ein neuer Band der Edition seiner Notizbücher zeigt Kurt Gödel bei der alltäglichen Lebensbewältigung.
„Nachdenken über etwas, was nicht im Programm ist, ist dasselbe wie Faulenzen. “Der Satz verwundert vielleicht nicht, wenn man weiß, von wem er stammt. Wohl aber der sogleich in Klammern folgende Zusatz: „(auch wenn es die Grundlagen der Mathematik betrifft)“. Denn der Mann, der dies irgendwann zwischen März 1938 und Juli 1940 in ein Schreibheft notierte, war Kurt Gödel, der österreichische Logiker, der Anfang der 1930er Jahre mit seinen beiden Unvollständigkeitssätzen ebendiese Grundlagen der Mathematik gründlich erschütterte.
Die Tiefe und theoretische Tragweite dieser Einsicht in Verbindung mit Gödels exzentrischer Persönlichkeit lassen ihn heute zuweilen als den prototypischen Nerd erscheinen. Er hatte ein wenig belastbares Nervenkostüm, schaffte es erst Anfang 1940 – auf den wirklich allerletzten Drücker –, aus Deutschland nach Amerika zu emigrieren, und starb 1978 im Alter von 71 Jahren an Unterernährung, die faktisch die Folge einer fortschreitenden psychischen Erkrankung war. Weniger bekannt ist, wie weit gesteckt seine Interessen waren. Das offenbarte zum Beispiel die Edition des ersten Bandes seiner philosophischen Notizbücher, welche die Konstanzer Philosophieprofessorin Eva-Maria Engelen 2019 im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften veröffentlichte.
Grundsätzliches auf der To-do-Liste
Nun hat Engelen einen zweiten Band vorgelegt. Wie der erste, der Aufzeichnungen zu Fragen der theoretischen Philosophie erschloss, wurden hier wieder Gödels zum großen Teil in der Gabelsberger-Kurzschrift abgefasste Notizen mit großer Sorgfalt transkribiert und kommentiert sowie eine Übersetzung ins Englische beigefügt. Anders als im ersten Band werden hier allerdings Gedanken öffentlich, die sicher nicht als mögliche Vorbereitung philosophischer Publikationen niedergeschrieben wurden. Vielmehr sind es sehr private, oft geradezu intime Bemerkungen, in denen Gödel seinen Alltag in den Blick nimmt. „Zeiteinteilung“ und danach im Klammern „Max“ (für „Maximen“) steht auf den beiden Heften, die hier zusammen mit fünfzehn meist aus Einzelblättern bestehenden „Addenda“ mit Notizen zum selben Themenkreis editiert wurden. Engelen ordnet das Material der Individualethik zu, macht in ihrem einleitenden Essay aber deutlich, dass es Gödel hier um das eigene Leben und Handeln geht, um ein Bemühen zu „Selbstvervollkommnung,“ mit dem er in einer langen, aus der Antike stammenden Tradition steht.
Ein Hauptmotiv bilden dabei die titelgebende Zeiteinteilung und die Maximen, also Richtlinien, die Gödel sich selbst vorgibt, gemischt mit Sätzen, denen die Wörter „Bemerkung“, „Frage“ und nicht zuletzt „Programm“ vorangestellt sind, wobei es sich im letzteren Fall oft um etwas handelt, was wir heute „To-do-Listen“ nennen würden. Darunter finden sich Grundsätze und Vorhaben jeglichen Ranges: vom tatsächlich Prinzipiellem („Nachdenken über: Was weiß ich, und was glaube ich?“) und Ambitioniertem („Sprachen lernen: Hebräisch, Chinesisch, Griechisch, Italienisch“) bis zum gänzlich Alltäglichen („Maxime: Am Schiff viel Tee mit Citrone trinken.“), und immer wieder ist der Logiker zu erkennen: „Vorteil einer Maxime besteht darin, dass dadurch eine Unzahl von einzelnen Entschlüssen überflüssig wird. Für einen Menschen, der sich zu hinreichend vielen Maximen entschlossen hat, sind die einzelnen Entschlüsse logische Fragen (Ableitungen aus den Maximen).“