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Framing und Problemlösung : Ohne Phantasie geht nichts

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Es ist nicht einfach, die richtige Entscheidung zu treffen, aber dieser Prozess sollte sich angstfrei vollziehen. Bild: © Imagezoo/Images.com/Corbis

Manifest einer bedrohten gesellschaftlichen Mitte: Ein Band diskutiert das Framing als kreative Methode zur Problemlösung. Dabei ist es besonders wichtig, mehr und alternative Entscheidungsmöglichkeiten zu erkennen.

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          Der Begriff „Framing“ hat im politischen Diskurs längst Antonio Gramscis gute alte „Hegemonie“ abgelöst. Im internetbasierten Alltag bedeutet er umgangssprachlich meistens, dass die Social-Media- und Influencer-Truppen einer Partei oder Organisation es geschafft haben, eine bestimmte Sicht auf ein neues Phänomen durchzusetzen und diese Perspektive in der Debatte zu verfestigen – oder sie blitzschnell zu ihren Gunsten zu verschieben, wenn sie nicht mehr funktioniert.

          Sozialwissenschaftler würden zum Thema Framing auf die Arbeiten von Daniel Kahneman und Amos Twersky verweisen: Setzt man Probanden verschiedenen Darstellungen desselben Gegenstands aus, werden diese bestimmen, wie man sich dem Thema gegenüber verhält. Der Begriff des Framings hat derzeit eher einen schlechten Ruf, er erinnert an Trickstertum und Manipulation. Die Autoren des vorliegenden Buchs, der Journalist Kenneth Cukier, der österreichische Jurist Viktor Mayer-Schönberger und der französische Informatiker Francis de Véricourt, wollen das ändern. „Framing“ ist für sie eine kreative Methode zur Problemlösung: „Framing ist nach unserem Verständnis nicht, in welchem Licht etwas erscheint“, heißt es mit Blick auf Kahneman und Twersky, „für uns steht ‚Framing‘ vielmehr für die bewusste Verwendung gedanklicher Modelle, um mehr und alternative Entscheidungsmöglichkeiten zu erkennen.“

          Populistische „Emotionalisten“ der Trump-Schule

          Den Autoren geht es um das Spiel mit Perspektiven. So stellen sie einen Satz von Regeln auf, der allerdings nicht der Kreativität als Selbstzweck verpflichtet ist, wie etwa die scheinbar sinnlosen Handlungsanweisungen von regelbasierten Kunstavantgardegruppen wie Oulipo oder Fluxus. Tatsächliche Probleme in Forschung, Planung und Verwaltung sollen von den „Framern“ bewältigt werden können. So gestehen sie dem „kontrafaktischen Denken“, also der Phantasie, eine wichtige Rolle in ihrem Prozess zu, aber dieses soll durch Bedingungen wie Konsistenz in Wahrnehmung und Handeln sowie ein genaues Bewusstsein für Kausalitäten ausbalanciert werden.

          Kenneth Cukier, Viktor Mayer-Schönberger und Francis de Véricourt: „Framers“. Wie wir bessere Entscheidungen treffen und warum uns Maschinen um diese Stärke immer beneiden werden.
          Kenneth Cukier, Viktor Mayer-Schönberger und Francis de Véricourt: „Framers“. Wie wir bessere Entscheidungen treffen und warum uns Maschinen um diese Stärke immer beneiden werden. : Bild: Redline Verlag

          „Out of the box“ zu denken sei nicht genug, so die Autoren, es gelte vielmehr, die real existierenden Beschränkungen produktiv zu machen. Es sei aber ebenso wichtig, die materiellen und politischen Bedingungen für kreative Arbeit zu sichern. Die Arbeit der „Framers“ werde derzeit von populistischen „Emotionalisten“ der Trump-Schule genauso bedroht wie von Vertretern falsch verstandener „künstlicher Intelligenz“, die den Computern die Macht überlassen wollten.

          Zuallererst ein Management-Buch

          Entscheidungsfähigkeit sei eine grundlegende menschliche Eigenschaft, die durch die Framing-Handlungsvorschläge gestärkt werden solle. Dabei ist Cukier und seinen Kollegen keine Technikfeindlichkeit vorzuwerfen. Viele Beispiele für kompetente Problemlösung durch „Framing“ haben eine technische Komponente, ein Fall beschreibt den Einsatz von maschinellem Lernen in der Arzneimittelproduktion. Die Technik ist in „Framers“ eher Servolenkung als Autopilot, der Mensch sitzt immer hinterm Steuer und gibt die Richtung vor.

          „Framers“ ist zuallererst ein Management-Buch, aber auch eine Art Manifest einer bedrohten gesellschaftlichen Mitte und des liberalen Pluralismus. Der letzte Vorschlag der Autoren lautet: „Lehnen Sie alles ab, was sich als einzig gültiger Frame zur Erfassung der gesamten Wirklichkeit geriert.“ Die Autoren unterstreichen die Nähe ihres Denkens zu dem der amerikanischen Politologin Judith Shklar: Menschen müssten angstfrei entscheiden und handeln können.

          Das Problem von „Framers“ ist nicht der Inhalt, sondern der Titel und die Terminologie. „Framing“ ist in den Sozialwissenschaften schon als Begriff prominent besetzt, und jemand, der nach dem wahrnehmungspsychologischen Konzept von Kahneman und Twersky sucht, wird von dem vorliegenden Werk eher enttäuscht sein. Die Autoren greifen durchaus auf Kah­nemans Arbeiten zurück, erweitern aber die Bedeutung des Framing-Begriffs in mehreren Dimensionen, sodass es klüger gewesen wäre, für das neue „Framing“ als erweiterte Entscheidungstechnik einen anderen zu erfinden, das Ganze gewissermaßen neu zu framen.

          Kenneth Cukier, Viktor Mayer-Schönberger und Francis de Véricourt: „Framers“. Wie wir bessere Entscheidungen treffen und warum uns Maschinen um diese Stärke immer beneiden werden. Redline Verlag, München 2022. 272 S., geb., 25,– €.#

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