Karlheinz Deschner: Kriminalgeschichte des Christentums 10 : Kostenaufstellung der Heilsgeschichte
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Bild: Rowohlt Verlag
Karlheinz Deschner legt den zehnten Band seiner „Kriminalgeschichte des Christentums“ vor und schließt damit gewohnt kritisch die seit 1986 erscheinende Reihe.
Im Großen Nordischen Krieg (1700 bis 1721) verteidigte der schwedische König Karl XII. sein Land gegen den Versuch Russlands, die schwedische Hegemonie im baltischen Raum zu zerstören. Karl wehrte sich durch Angriffskriege heldenhaft, doch ohne Schwedens Hegemonie bewahren zu können.
In der Person Karls lässt sich ein eigentümlicher Gegensatz aufspüren: Er war tiefgläubig, der lutherischen Kirche seines Landes treu, seinen Verwandten in Liebe zugetan. Doch als Feldherr kannte Karl keine Skrupel, weder bei der Vernichtung von Feinden noch im Umgang mit seinem eigenen Heer. Verluste, auf welcher Seite auch immer, schienen ihn nicht zu berühren. Ohne Bedenken ließ er seine Truppen von geistlichen Begleitern zur letzten Anstrengung anspornen, auch wenn diese in den Tod führte. Karl sah sich als alttestamentlicher König, der Gottes Schwert führt. Um Verwundete, Leidende, Kranke, Verkrüppelte aus den eigenen Reihen kümmerte er sich nicht; sie blieben sich selbst überlassen. Gegen 370 000 Tote sollen seine Kriege gefordert haben.
Alles für das Ansehen
Karl XII. ist nur eines der neun Kapitel von Karlheinz Deschners zehntem Band der „Kriminalgeschichte des Christentums“. Mit ihm beschäftigt sich der Autor nicht, um die Leser mit einem Stück Militärgeschichte vertraut zu machen. Karl wird vielmehr als ein typischer Christ dargestellt, den sein Glaube nicht davon abhält, sein ganzes Herrscherleben der brutalen Verfolgung von Feinden zu widmen. Im Zentrum weiterer Kapitel stehen vergleichbare Persönlichkeiten der frühen Neuzeit: Iwan der Schreckliche von Russland, Prinz Eugen von Savoyen, Friedrich der Große. Andere Abschnitte befassen sich mit dem Niedergang des Papsttums „im Sumpf des Nepotismus“, der Jesuitenverfolgung, dem Josephinismus in Österreich. Ein Kapitel über „Armut als Massenphänomen im absolutistischen Zeitalter“ bildet den Abschluss.
So wie sich weder Karl XII. noch Friedrich der Große um Kriegsversehrte kümmerten, hatten auch die absolutistischen Herrscher wenig Interesse an der Verbesserung des Loses der einfachen Bevölkerung. Auch Fürstbischöfe, die als weltliche und zugleich geistliche Herren über große Territorien herrschten, bildeten keine Ausnahme. Das Errichten von Residenzen und Lustschlössern und eine standesgemäße Haushaltsführung waren ihnen wichtiger.
Nicht vom Fach
Die mit dem zehnten Band abgeschlossene „Kriminalgeschichte“ endet mit der Darstellung des 18. Jahrhunderts, ohne bis in die Gegenwart fortgeführt zu werden. Zur Entschuldigung verweist der inzwischen betagte Autor auf andere Bücher, insbesondere auf seine „Politik der Päpste im 20. Jahrhundert“.
Seit 1986 erscheinend, hat die „Kriminalgeschichte“ die respektable Gesamtauflage von 350 000 Exemplaren erreicht, und das trotz der eklatanten Verletzung des Grundsatzes, ein Sachbuch müsse aus einem einzigen Band bestehen. Und trotz der Kritik, die sowohl kirchliche Kreise als auch Fachhistoriker gegen das Werk vorbrachten und zweifellos weiterhin vorbringen werden. Deschner ist nicht vom Fach. 1924 in Bamberg geboren, hat er 1951 in Würzburg mit einer Arbeit über die Lyrik von Nikolaus Lenau promoviert. Seit seinem Bestseller „Abermals krähte der Hahn. Eine kritische Kirchengeschichte von den Anfängen bis zu Pius XII.“ (1962) hat sich der Romanautor und Publizist auf die Produktion kirchenkritischer Bücher spezialisiert.
Polemisch und provokativ
Fast alle Schriften Deschners - auch der hier besprochene Band - enthalten Anmerkungen, Literaturlisten und Register. Einen wissenschaftlichen Anspruch erhebt er als Laienhistoriker und Sachbuchautor trotzdem nicht. Er beruft sich eher auf Sekundärliteratur als auf Quellen. Nicht um historische Forschung geht es ihm, sondern um Aufklärung, Provokation und Polemik. Damit hat er Erfolg - obwohl es in akademischen Kreisen als unfein gilt, den Namen Deschner zu nennen. Aber warum eigentlich? Deschner will über eine Geschichte aufklären, in der viel unschuldiges Blut floss, in der Macht über Recht ging, in der Religion zum Vorwand für Greueltaten diente. Er wendet sich nicht an Historiker, sondern an Leser, denen die Geschichte des Christentums als eine von Unrat freie Heilsgeschichte vermittelt worden ist.
Als „Abermals krähte der Hahn“ 1962 erschien, war so unmittelbar geäußerte Kirchenkritik in Deutschland selten und wirkte provokativ. Von manchen wurde sie als respektlos empfunden. Doch in dem halben Jahrhundert, das seitdem vergangen ist, hat sich viel getan. Auch unter den von Deschner vielgeschmähten katholischen Theologen gibt es nun eine große Zahl, die ähnliche Kritik äußert. Zu diesem Klimawandel hat nicht zuletzt Deschner beigetragen.
Er behält auch im Abschlussband seiner „Kriminalgeschichte“ den polemischen Ton bei. Doch er mildert ihn zumindest an einer Stelle, die jedem Leser im Gedächtnis bleiben wird. Alles, was er geschrieben habe, bekennt Deschner, könne er mit einem Wort des „österreichischen Priesters, Lebensreformers, Vegetariers und Pazifisten Johannes Ude (1874 bis 1965)“ ausdrücken: „Ich kann das Unrecht nicht leiden.“