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Karin Harrasser: Körper 2.0 : Ausblick auf unser Leben als Cyborgs

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Bild: Transcript Verlag

Google Glass ist nur ein Anfang - aber wovon? Jenseits apokalyptischer Schreckensszenarien sinnt Karin Harrasser über technische Erweiterungen des Menschen nach.

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          Die Mordanklage gegen Oscar Pistorius, der im Februar dieses Jahres seine Freundin Reeva Steenkamp erschoss, versehentlich, wie er bis heute beteuert, bereitete einer beispiellosen Karriere ein jähes und unrühmliches Ende. Rückblick: In London trat der Südafrikaner als erster beinloser Läufer bei den Olympischen Sommerspielen an. Das war 2012, vier Jahre nach der Aufregung um seine Olympiateilnahme in Peking. Damals wurde diskutiert, ob die aus einem Spezialkunststoff gefertigten und der Anatomie eines Gepardenbeins nachempfundenen Hightech-Prothesen Pistorius einen Vorteil verschafften. Zu diesem Schluss kam ein Gutachten Gert-Peter Brüggemanns, Professor für Biomechanik an der Sporthochschule Köln. Die Gegenposition vertrat ein Forscherteam unter der Leitung des Prothetikers Hugh Herr. Technodoping, ja oder nein?

          Bereits ein Jahr vorher richtete Herr, der infolge eines Bergunglücks beide Beine verlor und sie durch Teleskopprothesen ersetzte, am MIT Media Lab das Symposion „h2.0“ aus, wobei der Buchstabe „h“ für „human“, also „Mensch“, steht. Da ist es naheliegend, dass Karin Harrassers Studie über die technische Erweiterbarkeit des Menschen nicht nur den Fall Pistorius aufgreift, sondern auch Herrs Formulierung in abgewandelter Form im Titel führt. In „Körper 2.0“ sammelt die österreichische Kulturwissenschaftlerin mannigfaltiges Anschauungsmaterial für die virulente These, dass Natur und Technik im und am menschlichen Körper jetzt und in Zukunft neue Symbiosen eingehen. Hochentwickelte Prothesen oder technische Erweiterungen wie die Datenbrille „Google Glass“ treffen in dem schmalen Buch auf fiktive Beispiele wie die Mutanten aus den „X-Men“-Filmen oder auf Oswald Wieners Überlegungen zur Kybernetik.

          Werden wir alle Übermenschen sein?

          Aber Harrasser geht es in erster Linie nicht um das Anekdotische. In Anlehnung an Peter Sloterdijk beschreibt sie das technische Upgrading der menschlichen Physis als eine besondere Form der Anthropotechnik, also der Formung und Gestaltung des Menschen durch den Menschen. Als solche, so Harrasser, ist diese Entwicklung aber immer auch „Ausdruck einer verinnerlichten Kultur der Selbstverbesserung“, die wiederum untrennbar verbunden sei mit einer „neokapitalistischen Logik der Selbstoptimierung“. Steht am Ende also die Karikatur eines nietzscheanischen Übermenschen, der trotz seiner wunderbaren Fähigkeiten ein Sklave technologischer Skripts ist, gesteuert von kaltherzigen Konzernen? Und was bedeutet das für den berechtigten Anspruch auf Inklusion und Anerkennung, wie er sich beispielhaft mit einer Figur wie Oscar Pistorius verband?

          Mit der Figur des Übermenschen kokettiert auch die Kampagne „Meet the Superhumans“, mit welcher der britische Channel 4 für die Paralympics 2012 warb. Behinderung erscheint nicht länger als bloßer Mangel, sondert offenbart vielmehr ungeahnte Möglichkeiten der Weiterentwicklung - der nötige Wille und die entsprechende Leistungsbereitschaft vorausgesetzt. Technische Modifikationen dienen nunmehr nicht allein der Anpassung an einen fiktiven Naturzustand, der ja seinerseits immer fragwürdiger wird. In Wahrheit lauert dahinter der unausgesprochene Imperativ von Funktionalität und Steigerung - höher, schneller, weiter.

          Weder Euphorie noch Fatalismus

          Auf der einen Seite steht also ein Technofetischismus, der die Erweiterung menschlicher Körper nur im Lichte eines abstrakten Nutzenkalküls denken kann. Sein Widerpart ist eine nostalgische und defensive Technoskepsis, die ihr Glück in der Flucht wähnt. Harrasser sucht einen Ausweg aus diesem Dilemma und findet eine Verbündete in Donna Haraway. Die Biologin und Wissenschaftshistorikerin, die mit ihrem Essay „A Manifesto for Cyborgs“ den titelgebenden Mensch-Maschine-Hybrid endgültig aus den phantastischen Welten der Science-Fiction in die kahle Wirklichkeit (kultur-)wissenschaftlicher Diskurse überführte, propagiert einen Parahumanismus, der in der Interaktion von organischen und technischen Akteuren ein Emanzipationspotential erblickt, ohne deswegen gleich die Gefahren zu verkennen.

          Harrassers Theorie teilsouveräner Körper setzt hier an und betont, dass dem Umgang mit Technik immer ein Moment der Unfreiheit eigen ist. Entscheidend ist, diese Abhängigkeiten zu erkennen. Der Abschied von alten Idealen muss dann nicht zwangsläufig in einem hilflosen Determinismus enden, sondern könnte die Basis einer neuen und durchaus optimistischen Erzählung vom Homo technologicus liefern.

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