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Jasmin Meerhoff: Read me! : Gerät nicht öffnen! Gefahr!

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Bild: Verlag

Die Idee, learning by reading sei angemessener als learning by doing, verbreitete sich gleich mit dem Buchdruck: Jasmin Meerhoff hat eine Kulturgeschichte der vernachlässigten Literaturgattung Bedienungsanleitung geschrieben.

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          Gewusst wie: Als der regensburgische Superintendent Jacob Christian Schäffer 1766 die von ihm erfundene Waschmaschine an einen Grafen liefern ließ, reiste er entgegen den damaligen Gepflogenheiten nicht selbst mit, um die Funktion seines Werkes zu erklären, er legte schriftliche Erläuterungen bei. Prompt gab es Beschwerden, und Schäffer konstatierte, der Herr Graf könne wohl nicht richtig lesen.

          Vergeblichkeitserfahrungen begleiten die Geschichte der Bedienungsanleitungen, die in den fünfziger Jahren zu einem Massenphänomen wurden, von Anfang an. „Von einem neuen Produkt wurden fünf Prototypen hergestellt. Davon gingen drei zum Dauerlauf, einer ging zur Unternehmensleitung und der fünfte zum Fotografen. Zu uns kam keiner“, zitiert Jasmin Meerhoff in ihrer Kulturgeschichte der Bedienungsanleitung einen frustrierten technischen Redakteur. Selbst jemandem probehalber die fertige Beschreibung samt Gerät in die Hand zu drücken, um zu sehen, ob er damit zurechtkommt, sei unüblich. Fehlt nur noch ein lausiges Übersetzungsprogramm, um das Ganze ins Satirische zu wenden.

          Philosophie des Gebrauchs

          Dabei ist die Verheißung der Bedienungsanleitung, auf wenigen Seiten kurz und knapp das Wichtigste zu vermitteln, so attraktiv, dass sich immer mehr klassische Ratgeber als Bedienungsanleitung verkleiden. Mit Zeichnungen, deren Tradition Meerhoff bis Leonardo da Vinci zurückverfolgt, und im autoritären Tonfall einer Programmiersprache informieren diese über den richtigen Umgang mit Männern, Frauen oder Babys. Die Idee, learning by reading sei angemessener als learning by doing, verbreitete sich gleich mit dem Buchdruck, so Meerhoff: herumexperimentieren unerwünscht.

          Bedienungsanleitungen gehören in die Kategorie „graue Literatur“: nicht über den Buchhandel zugänglich, in keiner Bestsellerliste verzeichnet, oft direkt mit der Verpackung entsorgt oder in die unterste Schublade gestopft, wo sie noch liegt, wenn das beschriebene Gerät längst den Weg alles Irdischen gegangen ist. Die unvorstellbare Menge dieser Schriftstücke steht in keinem Verhältnis zur geringen Aufmerksamkeit, die sie in der Wissenschaft erfahren, beklagt Meerhoff. Mit Heideggers Unterscheidung von Zeug und Ding erarbeitet sie eine Philosophie des Gebrauchs, die sich vor allem um den Benutzer dreht: Zeug kann nicht Zeug sein, wenn eine Person nicht in der Lage ist, damit umzugehen. Erst die Bedienungsanleitung macht, wenn alles klappt, aus unzuhandenem zuhandenes Zeug und aus einer ahnungslosen Person einen kompetenten Benutzer.

          Vom fröhlichen Kunden zum DAU

          In den sechziger Jahren schien das alles kein Problem. Die Bedienungsanleitungen machten Lust auf das neu erworbene Gerät und priesen seine Fähigkeiten. Eine Titelseite zeigt den stolzen Besitzer vor seinem neuen Fernsehschränkchen im orangefarbenen Sessel sitzen und, fröhlich Zigarettenrauchkringel in die Luft pustend, den Feierabend genießen. In die Anleitung für einen Elektroherd heißt es gar: „Sie können den Topf auf der Fortkochstufe stehen lassen, ohne ihn beobachten zu müssen.“ Damals gab es allerdings auch noch keine Produkthaftung. Schäden aufgrund fehlerhafter Geräte waren allgemeines Lebensrisiko. Heute ist aus dem beglückenden Kauf eine Bedrohung geworden: Noch wichtiger als die technischen Daten ist, was das Gerät alles nicht kann und was der Käufer nicht und auf gar keinen Fall damit tun darf. Nur für den haushaltsüblichen Betrieb! Backofen bei Betrieb heiß! Gerät nicht öffnen! Gefahr!

          Aus dem höflich begrüßten und fröhlich gestimmten Kunden von einst ist der DAU geworden, der Dümmste Anzunehmende User, der für den Hersteller das eigentliche Risiko birgt und sich zwanglos in die ebenfalls Heideggerschen Kategorien der Aufdringlichkeit, Auffälligkeit und Aufsässigkeit einordnet. Die Bedienungsanleitung ist die Schnittstelle, die dem Hersteller erlaubt, die Verantwortung umzuverteilen, so Meerhoff. Mit ihrer Analyse einer vernachlässigten Literaturgattung lenkt sie den Blick darauf, dass wir nicht nur Verbraucher, sondern vor allem auch (bisweilen genervte) Benutzer sind. Sympathischere Bedienungsanleitungen könnten sich als echte Marktlücke erweisen.

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