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Frauen im Mittelalter : Ist wissenschaftlich viel gewonnen, wenn man große Männer durch große Frauen ersetzt?

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Hildegard von Bingen (1098 bis 1179) in einer Buchmalerei der Kölner Königschronik, Aachen, nach 1238 Bild: picture alliance / akg-images / André Held

Janina Ramirez tritt mit dem Anspruch an, interessanten weiblichen Figuren des Mittelalters endlich zu ihrem gebührenden Auftritt zu verhelfen.

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          Das Buch von Janina Ramirez verspricht im Untertitel nicht weniger als „Eine neue Geschichte des Mittelalters aus Sicht der Frauen“. In der Einleitung formuliert die Autorin, die bereits einige historische Sachbücher vorgelegt, auch Dokumentationen für das britische Radio und Fernsehen produziert hat, in stolzem Wissen um die Größe der Aufgabe ihr Ziel: Sie will jetzt „den Scheinwerfer wieder auf mittelalterliche Frauen“ richten. Denn jetzt erlaubten es neueste Forschungsmethoden, jene vielen Frauen des Mittelalters wieder sichtbar zu machen, die von der Geschichtsschreibung mit ihrem notorischen Interesse an großen Männern jahrhundertelang aus dem kollektiven Gedächtnis verdrängt worden seien. Eine „Entdeckungsreise zu den verloren gegangenen, übersehenen oder aus der Geschichte entfernten Frauen“ soll das Buch bieten, in einem großen geographischen Rahmen und „bewusst interdisziplinär“.

          Diese Entdeckungsreise führt dann durch neun Jahrhunderte: von einem reichen Frauengrab in Loftus in North Yorkshire aus dem siebten Jahrhundert zu zwei frühmittelalterlichen Königinnen von Mercia mit Namen Cynethryth und Æthelflæd und zur sogenannten „Kriegerin von Birka“ im Schweden des zehnten Jahrhunderts. Weiter geht es zu jenen anonym gebliebenen Frauen, die im elften Jahrhundert den berühmten „Teppich von Bayeux“ gestickt haben. Hildegard von Bingen steht für das zwölfte, Katharerinnen in Südfrankreich für das dreizehnte, Jadwiga von Polen für das vierzehnte Jahrhundert. Den Reigen beendet die englische Mystikerin Margery Kempe, die 1438 starb.

          „der:diejenige, der:die diese“

          In jedem Kapitel führt Ramirez zunächst knapp, aber anschaulich in die Lebenswelt ihrer Heldinnen ein. Und sie weiß zu erzählen, was historisches Forschen konkret bedeutet: Grabbeigaben, naturwissenschaftliche Daten aus DNA- und Isotopen-Analysen, aber auch Texte, Bilder, Kunstwerke werden als historische Quellen vorgestellt. Wir schauen Archäologinnen beim Graben zu, beobachten Archäogenetiker bei der Analyse alter DNA, blicken einer Historikerin über die Schulter, während sie eine Pergamentrolle des vierzehnten Jahrhunderts öffnet.

          Janina Ramirez: „Femina“. Eine neue Geschichte des Mittelalters aus Sicht der Frauen.
          Janina Ramirez: „Femina“. Eine neue Geschichte des Mittelalters aus Sicht der Frauen. : Bild: Aufbau Verlag

          All das ist gut konzipiert, informativ, einprägsam: Es ist vergnüglich, dieses Buch zu lesen. (Der Rezensent sollte an dieser Stelle allerdings erwähnen, dass er an einer Universität arbeitet und deshalb über Gender-Doppelpunkte hinwegzulesen gelernt hat. Nur die schöne Wortfolge „der:diejenige, der:die diese“ hat ihn noch einen Wimpernschlag lang verwirrt.) Man erfährt erfreulich viel über die Protagonistinnen des Buches. Ramirez vermag ihnen ein Gesicht und eine Stimme zu geben, und sie schildert die Welt dieser Frauen bunt und lebensprall. Zahlreiche Illus­trationen helfen, sich die vergangene Kultur auch in ihrer Materialität vor Augen zu führen. Und was für eine schöne Idee, das Buch mit Emily Wilding Davison zu eröffnen! Davison, eine Suffragette, hatte Englische Literatur studiert und gerade in starken Frauen des Mittelalters die Vorbilder für ihren eigenen politischen Kampf für Frauenrechte gesucht.

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