Jan Plamper: The Stalin Cult : Ein göttlicher Führer für das Weltproletariat
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Als Wahrheit hinstellen, was als Lüge erkennbar ist: Jan Plamper erklärt, warum und wie es zum Kult um den Dikator Stalin kam.
Als Stalin im März 1953 einen tödlichen Schlaganfall erlitt, schien es, als seien die Götter sterblich. Der polnische Student Janusz Bardach, der damals in Moskau lebte, erinnerte sich, verstörte und verunsicherte Menschen auf den Straßen gesehen zu haben. Es war, als hätten sie die Apokalypse erwartet. Konnte denn Stalin ein sterbliches Wesen sein? So sehr hatten sich die Untertanen an die Allgegenwart des Allmächtigen gewöhnt, dass sie sich eine Welt ohne ihn nicht mehr vorstellen konnten.
Aber Stalin war nicht als Gott zur Welt gekommen. In den ersten Jahren nach der Revolution war er in der politischen Führung nichts weiter als einer unter Gleichen gewesen. Zehn Jahre später konnte man über ihn nur noch im Modus der Bewunderung sprechen. Er war zum „Vater der Völker“ geworden. Sein Wort war Gesetz, seine Person die Verkörperung der neuen Ordnung. Wie konnte es geschehen, dass ausgerechnet in der Sowjetunion entstand, was im Heilsplan des Marxismus nicht vorgesehen war? Wie verband sich der Personenkult mit dem Kollektivismus und den unsichtbaren Mächten der Geschichte, in deren Namen die Bolschewiki die Macht beanspruchten?
Auch der Autor kennt keine Antwort
Jan Plamper gibt auf diese Fragen klare und überzeugende Antworten. So wie alle Personenkulte des zwanzigsten Jahrhunderts, schreibt er, müsse auch der Stalinkult als Möglichkeit der Moderne gesehen werden. Ohne die Sakralisierung des Menschen, die Idee der Volkssouveränität und ohne die technischen Möglichkeiten der Massenmobilisierung wäre der Kult Anspruch geblieben und wirkungslos gewesen. Und dennoch verstand sich der Kult um Hitler und Mussolini von selbst, weil es einen Faschismus ohne Führer nicht geben konnte.
Wozu aber benötigten die Bolschewiki einen Führerkult? Plamper weiß auf diese Frage auch keine Antwort. Aber er erklärt, wie der Kult entstehen konnte. Fast alle prominenten Bolschewiki seien vor der Revolution in Untergrundzirkeln sozialisiert worden und hätten sich Anführern untergeordnet. Der Kult müsse als Fortsetzung, nicht als Bruch mit der Tradition verstanden werden.
“Majesty is made, not born“, hat der amerikanische Anthropologe Clifford Geertz behauptet. So war es auch in der Sowjetunion. Stalins Vergöttlichung begann im Jahr 1929, als die Redaktion der „Prawda“ seinen fünfzigsten Geburtstag zum Anlaß nahm, einen Kult um seine Person zu inszenieren. Plamper läßt keinen Zweifel daran, dass Stalin diesen Kult nicht nur wollte, sondern ihn auch kontrollierte. Kein Portrait des Führers konnte ohne seine Zustimmung veröffentlicht werden. Es kam allerdings darauf an, Stalins Rolle im Ungewissen zu lassen, weil der Kult um den Führer nur im Modus der Bescheidenheit auftreten konnte. Plamper spricht von Stalins „unbescheidener Bescheidenheit“. Öffentlich ironisierte der Diktator die Verherrlichung seiner Person, hinter verschlossenen Türen aber steuerte er sie.