Jan Assmann: Die Zauberflöte : Im Geheimdienst der Geheimreligion
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Alles nur Vorkämpfer einer Weltrepublik der Humanität? Jan Assmann deutet die „Zauberflöte“ anregend neu, übersieht aber, wie Mozart und sein Librettist Schikaneder die Freimaurer kritisierten.
Überfluss schafft Überdruss. Papageno und Papagena haben, wie eine Schnellimbisskette es formulieren würde, die Schnauze voll: „Hat uns nicht der Prinz zum Hochzeitsgeschenk die kostbare Flöte gegeben? Mit der wir alle Tiere herbeilocken, hernach die schmackhaften aussuchen und uns die beste Mahlzeit bereiten?“ Ja, gewiss! „Und doch sind wir nicht vergnügt.“
Man könnte sich als Tafelmusik dazu, ganz wie im Trickfilm „Madagascar“ beim großen Fressen im Dschungel, ein schönes Lied mit Louis Armstrong vorstellen: „What a Wonderful World“. Doch zu „Der Zauberflöte zweiter Teil“ von Johann Wolfgang von Goethe gibt es bislang keine Musik. Die Bühnen in Wien und Bremen hatten den Entwurf 1795 und 1800 abgelehnt, und nachdem Friedrich Schiller seinem Weimarer Freund von einer Weiterverfolgung des Plans abgeraten hatte, veröffentlichte dieser sein Libretto 1802 als Fragment. Dabei blieb es.
Der Ägyptologe, Religionswissenschaftler und Musikfreund Jan Assmann hat jetzt zur „Zauberflöte“ von Wolfgang Amadeus Mozart einen Opernbegleiter zusammengestellt, der neben dem Originaltextbuch von Emanuel Schikaneder nicht nur Goethes Fortsetzung enthält, sondern auch die Anregungen, die Schikaneder verarbeitet hat. Wer Lulu bislang, dank Frank Wedekind und Alban Berg, für eine Frau hielt, lernt nun durch „Lulu oder die Zauberflöte“ von August Jacob Liebeskind (1786 veröffentlicht), dass Lulu ein Mann aus Mehru ist, der Hauptstadt des Reiches Korassan.
Mit populärer Außen- und elitärer Innenseite
Als dessen Thronfolger hilft er der Fee Perifirime, deren Tochter Sidi aus den Fängen des bösen Zauberers Dilsenghuin zu befreien. Das titelgebende Blasinstrument stimmt dabei nicht nur Rehe und Gazellen zutraulich, sondern macht auch manch fiesen Riesen gefügig. Christoph Martin Wielands Märchen „Der Stein der Weisen“ bringt die Begeisterung für die Geheimlehren Ägyptens ins Spiel. Doch die „Geschichte des Sethos“ von Jean Terrasson (1778 auf Deutsch erschienen) geht noch einen Schritt weiter: Sie verknüpft die Mysterienkulte Ägyptens mit dem Orpheus-Mythos - eine Liaison, die für Mozart und Schikaneder zentral wird.
Ins zierliche Format der Textbüchlein des achtzehnten Jahrhunderts hat Manesse diese Sammlung gefasst, etwas dick zwar, dennoch handlich. Ein hübsches Buch also zum zweihundertsten Todestag von Schikaneder, das zudem beachtlich wird durch Assmanns langen Essay über „Schikaneder, Mozart und die Zauberflöte“. Der arbeitet nämlich heraus, warum dieses Freundschaftswerk zweier Männer, die sich damit einen Jugendtraum erfüllten, sowohl alle Anregungen wie Fortführungen überragt.
Assmann bezeichnet es als „Ammenmärchen“, dass „Die Zauberflöte“ ein zusammengestoppeltes Machwerk voller Brüche sei, weil die Königin der Nacht anfangs gut, dann böse, Sarastro kreuzweise dazu erscheine. Für ihn ist dieses Libretto komplex und stimmig, was sich auch Mozarts konzeptioneller Mitwirkung verdanke. Assmann nennt „Die Zauberflöte“ eine „opera duplex“ nach dem Vorbild der „religio duplex“, einer Doppelreligion mit populärer Außen- und elitärer Innenseite: Die Außenseite der Oper bilde das Märchenstück, ihre Innenseite der Mysterienkult der Freimaurer, denen Mozart angehörte.
Eine gravierende Beobachtung
Der Prozess der Einweihung in eine geheime Wahrheit vollziehe sich mit Beginn der Oper als „rite de passage“, weshalb wir alle zunächst dem Irrtum erlägen, die Königin der Nacht sei die Gute. Als neuen Befund kann Assmann Protokolle von Wiener Freimaurersitzungen anführen, an denen Mozart nachweislich teilgenommen hat und im Rahmen deren Anton Kreil Vorträge über „Szientifische Maurerey“ hielt. Mozart kannte also deren Inhalt. In ihnen entwarf Kreil das alte Ägypten als Modell einer „religio duplex“ mit polytheistischer Volksreligion und philosophischer Geheimreligion, als deren Erbe er die Freimaurer begriff. „Die Zauberflöte“ hat nun für Assmann wenigstens vier Dimensionen: Volkstheater, Einweihungsritus, Orpheus-Fortspinnung und Spiegelung der letzten zwei Dimensionen auf der Ebene des drolligen Papageno.
Gravierend ist Assmanns Beobachtung zur Wandlung des Orpheus-Mythos: Indem die Flöte an die Stelle der Lyra trete, werde die Magie der Musik durch ein Instrument erwiesen, zu dem man nicht singen kann, wenn man es spielt. Damit löse sich die Macht des Musikalischen vom Wort. Assmann stellt die Beziehung zum empfindsamen Roman her, etwa bei Karl Philipp Moritz, was ebenso schlüssig wie folgenschwer ist. Denn damit wird, was Assmann in ganzer Tragweite nicht ermisst, Mozarts Musikdenken an die Unaussprechlichkeitsemphase der Frühromantik gerückt und vom Paradigma des Rhetorischen, das seit der Renaissance gegolten hatte, gelöst.
Mozarts Kritik an den Methoden der Freimaurer
So schön und überzeugend seine Ausführungen oft sind - an einem Punkt rufen sie Skepsis hervor. Assmann zeichnet ein zu positives Bild von den Freimaurern als Vorkämpfern einer Weltrepublik der Humanität. Die Papageno-Ebene soll das bestätigen. Doch in einer Nebenbemerkung erwähnt er selbst, dass Schikaneder aus einer Regensburger Loge 1789 relegiert worden ist. Die Eingeweihten wollten keinen Schauspieler und Sänger, der von seiner Frau getrennt lebte.
Ebenso weiß man, dass der Logenmeister Ignaz von Born, Mozarts Vorbild für Sarastro, ein Großinquisitor der Aufklärung war, der ideologische Säuberungen in Wien durchführte und die Korrespondenz seiner Widersacher geheimdienstlich überwachen ließ. Mozart fühlte sich unwohl und dachte eine Zeitlang, seinen eigenen Geheimbund, die „Grotte“, zu gründen.
So darf man in der Papageno-Ebene, bei aller Sympathie für die Ideale der Freimaurer, vornehmlich Kritik an deren Methoden sehen: Die ganze Welt der Vernunftreligion läuft Gefahr, totalitär zu werden, wenn sie nicht auch Platz für solch bunte Vögel hat, wie Schikaneder, der erste Darsteller des Papageno, einer war.