Jacques Derrida : Der Philosoph und sein Biograph
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Jacques Derrida auf einer Aufnahme aus dem Jahr 2001 Bild: AFP
Wie schreibt man eine breitenwirksame Biographie über Jacques Derrida? Benoît Peeters erzählt die prominente Lebensgeschichte, liefert dazu einen Werkstattbericht - und lässt die Philosophie des Philosophen auf sich beruhen.
Autor und Lektorin sitzen bei "Roger der Frosch" zu Tisch. Benoît Peeters hat Biographien von Hergé ("Tim und Struppi") und Paul Valéry geschrieben. Zwischen Kaffee und Rechnung kommt seine Lektorin endlich zur Sache: Was jetzt? Über den Begründer des Éditions de Minuit kann Peeters nicht schreiben, weil sich Jérôme Lindons Tochter dem Projekt widersetzt. Roland Barthes, bei dem er sein Studium mit einer Arbeit über "Les bijoux de la Castafiore" abgeschlossen hatte, ist schon vergeben. Die Verlagsfrau weiß längst, wer es sein soll: Derrida - Benoît Peeters soll die erste Biographie des 2004 verstorbenen Philosophen schreiben. Zu Hause konsultiert er erst mal Wikipedia.
Die Witwe ist einverstanden. Benoît Peeters macht sich an die Arbeit - und beginnt ein Tagebuch seiner Biographie: "Trois ans avec Derrida". Dieses einmalige Werk ist ein verzweifelter und aufrichtiger Versuch, neben dem berühmten Mann, dessen philosophisches Werk er eingestandenermaßen nicht besonders gut kennt, nicht völlig unterzugehen. Sich als Autor zu behaupten, eine eigene Existenz zu führen. Wohl nie hat man die Genesis einer Biographie so hautnah miterleben können: "Eine Biographie ist die schönste Form des Zusammenlebens mit dem, dessen Leben zu schreiben man sich erpicht."
Der selbsterklärte Außenseiter
Peeters berichtet - ohne Zahlen zu nennen - von den Verhandlungen über den Vorschuss. Weitere Finanzierungsquellen müssen erschlossen werden. Er fährt regelmäßig mit dem TGV zum Literaturarchiv Imec und fliegt nach Amerika. Er liest Briefe, Bücher, Zeitschriften und führt Gespräche mit Familienmitgliedern, Freunden, Experten. Er trifft die halbe Pariser Intelligenz. Bevor er die Interviews verarbeitet, notiert er seine Eindrücke in seinem Journal. Seine Stimmung schwankt zwischen Ermutigung und Niedergeschlagenheit. In Panik gerät Peeters, als er vernimmt, dass ein zweiter Biograph Derrida auf den Fersen ist. Er hört sich die Klagen des verbitterten Jean-Pierre Faye an, der behauptet, Derrida habe ihm die Idee des "Collège de Philosophie" geklaut.
Diese Gründung ist ein Angelpunkt in der Existenz des politischen Philosophen Derrida, der intellektuelle Orte außerhalb der etablierten Instanzen der akademischen Macht wollte. Und darunter litt, dass er nicht ins Collège de France aufgenommen wurde. Lebenslang fühlte sich Derrida als Ungeliebter und Ausgeschlossener. In Algerien hatte er während sechs Monaten die Schule nicht besuchen dürfen, weil Vichy das Judenstatut auch jenseits des Mittelmeers umsetzte. Noch lange nach dem Durchbruch als Philosoph musste er Demütigungen und Niederlagen einstecken. "Derrida führte praktisch permanent gegen etwas oder jemanden Krieg", schreibt sein Biograph und verschweigt nicht, dass der weltberühmte Denker der Dekonstruktion dazu neigte, alltägliche Probleme gewaltig zu dramatisieren.
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