Heinrich August Winkler: „Geschichte des Westens“ : Was ist mit der Kultur passiert?
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Heinrich August Winklers „Geschichte des Westens“ konzentriert sich allein auf die Politik. Das ist Stärke und Schwäche dieses monumentalen Werks.
Mit dem lapidaren Satz „Am Anfang war ein Glaube: der Glaube an einen Gott“ hebt das vorliegende Riesenwerk an. Der Monotheismus war der Stammvater „des Westens“, behauptet Heinrich August Winkler, und er nahm seinen Anfang im Ägypten des vierzehnten vorchristlichen Jahrhunderts, als König Amenophis IV. (Echnaton) den Sonnengott Aton zum alleinigen Gott erklärte. Zwar fielen die Ägypter bald wieder in ihren gewohnten Polytheismus zurück, doch wurde Aton durch Moses am Leben erhalten, wenngleich unter dem neuen Namen Jehova und mit einer neuen Theologie versehen. Dieser jüdische Monotheismus war es, so Winkler, der den Prozess der „Rationalisierung, Zivilisierung und Intellektualisierung“ einleitete und den Westen schuf.
Bevor es dazu kommen konnte, bedurfte es jedoch einer weiteren entscheidenden Entwicklung. Auch sie war ein Ausfluss derselben religiösen Tradition, genauer gesagt, von Jesu Antwort auf die Frage, ob es recht sei, dass man dem römischen Kaiser Steuern zahle: „So gebet dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist!“ Denn mit dieser Aufforderung nahm die Gewaltenteilung ihren Anfang. Im Mittelalter kam die Trennung zwischen dem Monarchen und den Ständen hinzu, deren dramatischste Episode sich 1215 ereignete, als König Johann auf Druck der englischen Barone die Magna Charta unterzeichnen musste.
Nachdem Montesquieu das Prinzip der Gewaltenteilung 1748 in seinem „De l'esprit des lois“ maßgeblich formuliert hatte, wurde es 1776 in der amerikanischen und 1789 in der französischen Revolution von der Theorie in die Praxis umgesetzt und in den Verfassungen beider Länder verankert. Indem sie darüber hinaus die Prinzipien der Volkssouveränität und der Rechtsstaatlichkeit etablierten, vollendeten diese beiden weltgeschichtlichen Ereignisse das westliche Projekt. Seitdem, so Winkler, wird die politische Geschichte des Westens von Kämpfen „um die Aneignung oder Verwerfung des normativen Projekts der beiden atlantischen Revolutionen“ bestimmt.
Dieses Szenario wirft eine naheliegende Frage auf: Was ist mit den Griechen passiert? Die verblüffende Antwort lautet: Sie sind ausgeklammert worden. Winkler führt uns ohne Umschweife von Moses zu Jesus, wobei als einziges Bindeglied seine Beobachtung dienen muss, Jesus habe „in einer Tradition des hellenistischen Judentums“ gestanden. Aristoteles und Platon treten nur in Erscheinung, insofern sie Beiträge zur Entwicklung des Christentums und zur Renaissance in Italien geleistet haben. Der griechische Unabhängigkeitskampf in den 1820er Jahren nimmt in Winklers Darstellung breiteren Raum ein als das gesamte klassische Griechenland. Das Buch enthält mehr Verweise auf Frankfurt am Main als auf jede Phase der griechischen Geschichte. Den polytheistischen Römern geht es nur unwesentlich besser, dauerte es doch bis 312 nach Christus, bis endlich ein Kaiser - Konstantin - die Vorzüge des Monotheismus begriff. Dass Winkler die klassischen Wurzeln ignoriert, ist einigermaßen kühn und schreit nach einer wesentlich ausführlicheren Begründung, als hier gegeben wird, nämlich gar keine.