: Grüße an den Großmeister
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Sirenenklänge waren es, die der junge Martin Walser 1953 an den noch nicht gar so alten Arno Schmidt aussandte: Ob der verehrte Kollege nicht doch einmal die Tagung der Gruppe 47 besuchen wolle? "Es sind ein paar Menschen da, mit denen man nicht ohne Gewinn spricht", schreibt Walser, "ich denke da ...
Sirenenklänge waren es, die der junge Martin Walser 1953 an den noch nicht gar so alten Arno Schmidt aussandte: Ob der verehrte Kollege nicht doch einmal die Tagung der Gruppe 47 besuchen wolle? "Es sind ein paar Menschen da, mit denen man nicht ohne Gewinn spricht", schreibt Walser, "ich denke da vor allem an Heinrich Böll und Ilse Aichinger, auch an Dürrenmatt." Schmidt möge doch bitte kommen, auch damit die "47er" einmal "eine Faust unter sich spüren". Kurz: "Wenn Sie lesen würden, hätte die ganze Veranstaltung mehr Sinn."
Als Schmidt ablehnte, wie er zuvor schon Alfred Anderschs Anfrage in derselben Sache abgelehnt hatte, schaltete sich als Dritter sein damaliger Verleger Heinrich Maria Ledig-Rowohlt ein und winkte dem klammen Autor förmlich mit einem Scheck: "Vertraulich gesprochen - ich habe so etwas läuten hören, als wollte man Ihnen in diesem Jahr den Gruppenpreis erteilen. Wir haben uns übrigens an diesem Preis beteiligt zusammen mit dem Südwestdeutschen Rundfunk. Da wären, falls nicht zwei Preise verliehen werden - also DM 2.000 - - zu erwarten."
Schmidt blieb aber bei seiner Ablehnung. Er eigne sich "nicht als Mannequin", schrieb er Ledig-Rowohlt zurück. "PS: Muss man bei der Gruppe 47 auch singen, oder braucht man nur nackt vorzulesen?"
Den "Briefwechsel mit Kollegen" umfasst der jüngst erschienene Band der verdienstvollen Werkausgabe, die von der Arno Schmidt Stiftung sukzessive seit zwanzig Jahren in exquisiter Gestaltung erstellt wird. Mittlerweile sind die literarischen Texte, die feuilletonistischen Brotarbeiten, die Fragmente aus dem Nachlass und selbst die wenigen Interviews und Lesungen im Druck beziehungsweise auf CD-Rom oder auf DVD erhältlich. Die Literaturwissenschaft, die sich einst gar nicht genug mit Schmidt beschäftigen konnte, scheint seiner hingegen etwas müde geworden zu sein; der ehrwürdige "Bargfelder Bote", der all die Jahre Schmidts Kosmos getreulich ausgemessen hat, ist mittlerweile bei der dreihundertsten Ausgabe angelangt - große Überraschungen, so scheint es, sind heute, knapp dreißig Jahre nach dem Tod des Autors, aus dieser Richtung nicht mehr zu erwarten.
Dass dieser Band nun doch Erstaunliches in sich birgt, ist auch nicht unbedingt Schmidts eigenen Briefen geschuldet. Denn deren Tonfall in all seinen Modulationen - von freundlich bis schroff, von werbend bis kurz vorm Verstummen - kennt man aus den bisherigen Veröffentlichungen, auch wenn sich das Spektrum der Ausflüchte, um eine persönliche Begegnung mit den Briefpartnern zu vermeiden, hier noch erweitert. Einmal trifft es Martin Walser, dem Schmidt eine faustdicke Lüge auftischt, warum er zum verabredeten Treffen nun doch nicht erschienen ist (seine Frau, schreibt er, sei ins Krankenhaus eingeliefert worden, nun drohe eine Operation). Ein anderes Mal nimmt er einen Preis entgegen und brüskiert dann die verblüffte Mit-Preisträgerin Marieluise Fleißer: "Herrn Arno Schmidt, an dem ich sprachlich sehr interessiert bin, konnte ich dort antreffen und, weil ich fast neben ihm saß, sogar verschiedene Worte mit ihm wechseln. Zu meinem Bedauern stob er, kaum war man nach der Veranstaltung aufgestanden, mit bemerkenswerter Geschwindigkeit davon, damit sich ja niemand näher mit ihm befassen konnte." In solchen Punkten also wird das bekannte, aber unzulängliche Bild des kauzigen Menschenfeindes bestätigt; neue Züge erhält es nicht. Und auch wo Schmidt etwa Martin Walser seine Prosaformen erläutert, findet sich nichts, was nicht an anderer Stelle bereits beschrieben wäre.