Gegen Massenproduktion : Kein Goliath so stark wie tausend Davids
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Jedes Cover ein Unikat: ein Buch mit Sprühschablone Bild: Campus Verlag
Die Ära des Gleichförmigkeitsterrors neigt sich dem Ende zu, die „Marke Eigenbau“ ist im Kommen. Das zumindest behaupten Holm Friebe und Thomas Ramge, die in einem utopischen Sachbuch ein neues Amateurzeitalter im Banne des Internet beschwören.
Bertolt Brecht, der ferne Seher, biete sich an für eine Fernsehkarriere, wurde unseren Televisionären jüngst polternd bescheinigt. Deren Unbehagen am Dreigroschenmoralisten aber ist nicht ganz unbegründet: War es doch Brecht, der das Fundament der Rundfunkherrschaft torpedierte, kaum dass sie ihr totalitäres Regime errichtet hatte: „Der Rundfunk wäre der denkbar großartigste Kommunikationsapparat des öffentlichen Lebens, ein ungeheures Kanalsystem, das heißt, er wäre es, wenn er es verstünde, nicht nur auszusenden, sondern auch zu empfangen, also den Zuhörer nicht nur hören, sondern auch sprechen zu machen.“ Mit sechzigjähriger Verspätung wurde, man hat es oft gelesen, Brechts Traum von der „Umfunktionierung des Rundfunks“ endlich wahr.
Wie das Internet einer ganzen Schicht von Kreativarbeitern einen selbstbestimmteren Arbeits- und Lebensstil ermöglicht hat, machten uns vor zwei Jahren Holm Friebe und Sascha Lobo in ihrer Freiberufler-Eloge „Wir nennen es Arbeit“ deutlich. Das Manifest hatte durchaus missionarischen Charakter, war aber im Kern eine selbstbewusste Apologie der „digitalen Boheme“. Weil sich aber die Revolution - individuelle Klasse statt standardisierter Masse, Partizipation statt Rezeption - keineswegs auf den Bereich der selbständigen Text-, Bild- und Ideenproduktion beschränkt, wie jedenfalls Holm Friebe glaubt, legt er nun eine gemeinsam mit Thomas Ramge verfasste Fortsetzung vor: „Marke Eigenbau“ zieht die argumentative Linie in die mit echter Hardware operierende Ökonomie aus. Wieder geht es um Selbstermächtigung des Empfängers (diesmal von Waren): „Die Hürden, vom Kunden zum Anbieter zu werden, sind so niedrig wie nie.“ Kommunikation statt Distribution also, ganz im Brechtschen Sinn: „Die Rückkehr des Rückkanals“.
Aufstand der Massen
Das neue Manifest tritt mit klassen- und kulturkämpferischem Gestus auf: eine Wirtschaftstheorie im Geiste des Partisanen. Die technische Revolution hat die Aneignung der Produktionsmittel möglich gemacht. Diese Lücke, die der Monopolkapitalismus lässt, gilt es zu nutzen. Schon im Untertitel rumort es gewaltig: „Der Aufstand der Massen gegen die Massenproduktion“. Den Ausgangspunkt der Überlegungen bildet eine weitreichende These: Die Ära der Massenproduktion - ausgehend von Adam Smith und der Arbeitsteilung über den Taylorismus mit seiner Mechanistik, den Fordismus mit seiner Fließbandlogik, die Pseudoindividualisierung seit den sechziger Jahren bis hin zur turbokapitalistischen Explosion durch die Globalisierung -, diese Ära des Gleichförmigkeitsterrors neige sich unweigerlich dem Ende zu, und zwar aus Systemschwäche: „Vielleicht ist die - letztlich unterkomplexe - Organisationsform des Konzerns mit seinen zweidimensionalen Organigrammen und eindimensionalen Weisungs- und Reporting-Strukturen einfach nicht mehr die überlegene in einer immer komplexer werdenden Welt.“
Mit dieser Diagnose stehen die Autoren nicht alleine da: Schon vor der Finanzkrise häuften sich die Kassandrarufe. Der Kulturkritiker Douglas Rushkoff sieht eine Renaissance des Kollektivs heraufziehen, der Wirtschaftsphilosoph Charles Handy predigt den Föderalismus, der Jurist Joel Bakan hält die Konstruktion einer juristischen Person mit beschränkter Haftung für das Grundübel der Gesellschaft, E. F. Schumpeters fünfunddreißig Jahre altes Bekenntnis „Small is beautiful“ feiert Urständ. Eine riesenhafte Welle ist es geworden, die gegen die tumbe Dominanz der Großkonzerne anbrandet.