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Nachwirkungen des NS-Staats : Und wenn das Wirtschaftswunder ausgeblieben wäre?

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Deutsches Reich – Reisepass: Mit solchen ungültigen Dokumenten weisen sich Mitglieder der sogenannten Reichsbürger aus. Bild: dpa

Unterhaltungsstoff und echte Gefahren: Gavriel D. Rosenfelds Buch über Anknüpfungen an den Nationalsozialismus nach 1945 ist methodisch etwas verwackelt, kommt aber ohne reißerische Passagen aus.

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          Dass die Nachkriegsentwicklung Deutschlands und speziell natürlich die West-Deutschlands ein großer Erfolg war, das ist eine mittlerweile gut etablierte Sicht der Dinge. Selbst die zögerliche Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus stößt inzwischen auf Verständnis. Aber es kehrt auch immer mal wieder das Reden von einem „Vierten Reich“ zurück, einer Wiederkehr, wenn nicht des Nationalsozialismus, so doch deutscher Großmachtgelüste. Man kann es verstehen. Dass eine so schreckliche, zugleich so potente Machtentfaltung wie die des NS-Staats ohne größere Nachwirkung in sich zusammengesackt sei, ist gewiss nicht selbstverständlich. Dem Historiker Gavriel D. Rosenfeld (Fairfield University) kam das jedenfalls bemerkenswert vor. So hat er „Das Vierte Reich. Der lange Schatten des Nationalsozialismus“ geschrieben, um sich und anderen mehr Klarheit zu verschaffen.

          Merkwürdig ist, dass der Ausdruck „Drittes Reich“ schon seit Sommer 1939 auf Anweisung Hitlers in offiziellen Mitteilungen vermieden werden sollte, womöglich, weil er einen christlich-pazifistischen Beiklang hatte. Vielleicht spielte auch eine Rolle, dass NS-Gegner von einem „Vierten Reich“ zu sprechen begannen, wobei die Prophezeiung im Buch Daniel, Kapitel 2, im Hintergrund gestanden haben dürfte: Danach wird die Welt vier große Reiche sehen, auf das vierte folgt das Reich Gottes, das alle weltliche Herrschaft beenden und in Ewigkeit bestehen wird.

          Skandale um alte Kameraden

          Eine ganze Weile blieb das Wort vom „Vierten Reich“ in seiner Bedeutung unklar. Noch 1947 verbanden einzelne Beobachter es mit einem neuen, fortschrittlichen Deutschland. Für andere aber avancierte es zur Losung einer Auferstehung des „Dritten Reiches“, und diese Bedeutung setzte sich durch. Das ist das erste große Thema Rosenfelds: die Versuche, dem Nationalsozialismus und dem Deutschen Reich ein neues Leben zu verschaffen. Und wenn sie auch alle bis zum heutigen Tag gescheitert sind: Waren die Ängste gegenstandslos oder doch berechtigt? Rosenfeld operiert mit dem Gedanken der kontrafaktischen Geschichte und zitiert als frühen Gewährsmann Hugh Trevor Roper: „Geschichte ist nicht nur das, was geschah. Es ist das, was im Zusammenhang mit dem, was hätte geschehen können, geschah.“

          Ein größer angelegter Versuch alter Nationalsozialisten, nach der Macht zu greifen, war der des Naumann-Kreises. Werner Naumann war Staatssekretär im Reichspropagandaministerium gewesen und begann zusammen mit einer Reihe prominenter Gesinnungsgenossen, darunter drei ehemaligen Gauleitern, einem SS-Obergruppenführer und Werner Best, dem zeitweiligen Stellvertreter Heydrichs im SD und späteren Reichsbevollmächtigtem in Dänemark, die nordrhein-westfälische FDP zu unterwandern. Auf dem Bundesparteitag der FDP im Herbst 1952 präsentierten sie ein „Deutsches Programm“, mit dem sie allerdings scheiterten. Im Januar verhafteten die britischen Besatzungsbehörden die führenden Männer des Naumann-Kreises: Sie hätten den Sturz der Regierung Adenauer vorbereitet. Nach Monaten wurden die Verhafteten freigelassen, das Strafverfahren eingestellt, aber das Signal war unmissverständlich: Aktionen, die auf die Umwälzung der politischen Verhältnisse zielten, wurden nicht geduldet. Im Herbst 1953 bestätigte die Bundestagswahl die demokratischen Parteien, wobei die FDP Federn lassen musste; die Deutsche Reichspartei, die Partei der Unbelehrbaren, landete bei 1,1 Prozent.

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