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Theologie im Ersten Weltkrieg : Wenn Gott im Schlachtendonner spricht

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Ein Pfarrer segnet deutsche Soldaten, Bildpostkarte aus der Zeit des Ersten Weltkriegs, Farbdruck nach einem Aquarell von Paul Hey (1867–1952) Bild: picture alliance / akg-images

Eine trughafte Verschönerung des Barbarischen: Friedrich Erich Dobberahn schildert den theologischen Alltag in Deutschland während des Ersten Weltkriegs.

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          Das fünfte Gebot aus dem Dekalog lässt an Prägnanz wenig zu wünschen übrig: „Du sollst nicht töten“, so hieß es schon bei Luther, in anderen Übersetzungen ist von „morden“ die Rede. Dass kein Mensch einem anderen das Leben nehmen darf, war Kern der jüdischen Ethik und wurde von dem jüdischen Propheten Jesus sogar noch verschärft. Gleichwohl entwickelten sich im Laufe der Jahrhunderte auch Regeln für Situationen, in denen das Töten nicht untersagt war. Der Krieg war eine herausragende Ausnahme. Und so konnte im Februar 1915 der Pädagoge Heinrich Spanuth in seinem Handbuch „Der Weltkrieg im Unterricht“ das fünfte Gebot von dessen Umkehrung her denken: „das gebotene Töten der Feinde im Kriege, Menschlichkeit im Kriege, die Hingabe des Lebens im Kampfe fürs Vaterland; Kriegshilfe, Verwundetenhilfe, Rotes Kreuz“.

          Eine ganze Reihe von Rücksichten umfloren hier den Umstand, dass das Töten nun, da Deutschland einen Krieg erklärt hatte, nicht mehr untersagt, sondern geboten war. Spanuth ging noch weiter und drehte den ganzen Dekalog auf passend: „Fast alle Gebote sind irgendwie zum Kriege in Beziehung zu setzen.“ Das häufig so genannte Keuschheitsgebot, das sechste, sprach nun „von dem Opfer der Frauen, die ihre Ehegatten dahingeben“. Das achte Gebot wurde auf den „Lügenfeldzug der Gegner“ und auf die „List im Krieg“ bezogen, allerdings pochte Spanuth auf „Gerechtigkeit im Urteil auch über den Feind“. Über allem stand dabei Gott als „Herr über Leben und Tod“ und als Lenker des Schicksals.

          Nicht nach Schablone gearbeitet

          Das Handbuch von Heinrich Spanuth ist eines von vielen Zeugnissen, die Friedrich Erich Dobberahn in seiner Untersuchung „Deutsche Theologie im Dienste der Kriegspropaganda“ aufruft. Er beschäftigt sich, so der Untertitel, mit „Umdeutung von Bibel, Gesangbuch und Liturgie“ in der Zeit von 1914 bis 1918 und präsentiert dabei in enormer Detailfülle den theologischen Alltag in Deutschland während des Ersten Weltkriegs. Spanuth etwa steht für ihn, wie er mit weiteren Stellen belegt, in einer Tradition des Populärdarwinismus. Dobberahn bescheinigt ihm ein „biomythisches Deutungsmuster“. Der Gott dieser Theologie spricht nicht nur in der Bibel, sondern auch im Schlachtendonner, die Gottbefohlenen haben dafür zu sorgen, dass sie in der Hand Gottes Hammer oder Axt sind und nicht Amboss oder Baum.

          Friedrich E. Dobberahn: „Deutsche Theologie im Dienste der Kriegspropaganda“. Umdeutung von Bibel, Gesangbuch und Liturgie 1914–1918.
          Friedrich E. Dobberahn: „Deutsche Theologie im Dienste der Kriegspropaganda“. Umdeutung von Bibel, Gesangbuch und Liturgie 1914–1918. : Bild: Vandenhoeck & Ruprecht Verlag

          Dobberahn interessiert sich für Spanuth auch deswegen, weil er durch ihn den Kern seines Buches akzentuieren kann. Als zentrale Quelle dienen ihm nämlich Aufzeichnungen über einen Pfarrer und eine Konfirmandin in Potsdam im ersten Kriegsjahr: Theodor Krummacher bereitete damals junge Frauen auf ihre Konfirmation vor, selbstverständlich konnte er die aktuelle Situation nicht aussparen, er trug also die christliche Glaubenslehre unter dem Eindruck einer intensiven „Kriegstheologie“ vor. Mit diesem Begriff fasst Dobberahn zusammen, worum es ihm in seinem Buch insgesamt geht.

          Eine junge Frau, die bei Krummacher genau und reflektierend mitschrieb, war Ellen Richter. Ihr Protokollbuch kam auf Friedrich Erich Dobberahn als Familienbesitz, denn er ist mit einer Enkelin der damaligen Konfirmandin verheiratet. Seine Untersuchung ist also auf eine gewisse Weise befangen, er versucht diesen persönlichen Bezug allerdings durch ein Höchstmaß an Kontext zu erweitern.

          Zwischen „Konjunkturpoesien“ und „Friedenswissen“

          „Deutsche Theologie im Dienste der Kriegspropaganda“ ist als historiographisches Buch, aber auch dem Selbstverständnis des Autors nach ein Außenseiterwerk, „nicht nach Schablone gearbeitet“, sondern durchpulst von einem umfassenden Interesse, den deutschen Protestantismus und seine nationalistischen Verirrungen zu verstehen. Dobberahn hat eine spannende intellektuelle Biographie, er promovierte über „Fünf äthiopische Zauberrollen“, unterrichtete acht Jahre in Brasilien Bibelwissenschaften und semitische Sprachen, beschäftigte sich dort mit Befreiungstheologie und hat seit seiner Rückkehr nach Deutschland als Religionswissenschaftler und Sprachlehrer gearbeitet.

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