https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/buecher/rezensionen/sachbuch/evke-rulffes-buch-die-erfindung-der-hausfrau-zur-degradierung-17699329.html

Über die Hausfrau : Schatz, vergiss nie den Gehorsamsparagraphen

  • -Aktualisiert am

Schöner wohnen, gesund essen: Hausfrau um 1960 Bild: picture alliance / akg-images

Degradiert zum küchenfertigen Sexualobjekt: Evke Rulffes erzählt die Geschichte der Hausfrau. Ein Ratgeber aus dem achtzehnten Jahrhundert spielt dabei eine besondere Rolle.

          4 Min.

          Müssen wir uns die Hausfrau nicht als einen glücklichen Menschen vorstellen? Denn wer gliche dem antiken Helden, der von den Göttern dazu verdammt wurde, unablässig einen Felsblock den Berg hinan zu wälzen, der, sooft er den höchsten Punkt erreicht hat, wieder hinunterkollert, mehr als die mit Haus- und Care-Arbeit Geschlagene, die jeden Tag aufs Neue die nie endende Plackerei wieder aufnimmt? Und für ihn postuliert Albert Camus im Schlusssatz seines Essays „Der Mythos des Sisyphos“, man habe ihn sich glücklich zu denken. Allein der vorletzte Satz in Camus’ „Versuch über das Absurde“: „Der Kampf gegen Gipfel vermag ein Menschenherz auszufüllen“, lässt Zweifel an der Statthaftigkeit des Vergleichs aufkommen, sind doch hauswirtschaftliche Tätigkeiten die sprichwörtlichen Mühen der Ebene: unspektakulär, unbemerkt, allzu häufig unbedankt, unbezahlt sowieso.

          Graue existenzphilosophische Theorie also oder bloß allzu brachial trivialisiertes Sinnbild? Jedenfalls wurde und wird Widerspruch laut gegen die eher als Strafe denn als beglückend erlebte Hausarbeitsfron. Unübertroffen drastisch formuliert im Titel des von Erna Meyer 1930 herausgegebenen Ullstein-Sonderhefts: „Macht Euch endlich frei – von der Haushalt-Sklaverei!“ Das großformatige Doppelheft im gleichen Ton weiter: „Haushalt führen – das bedeutet für viele immer noch so etwas wie: Krieg führen.“

          Managerin mit Finanzhoheit

          Ging es Meyer „nur“ um die tayloristische Rationalisierung der Hausarbeit mit dem Ziel, den Frauen das Joch zu erleichtern, zielten zeitgenössische Frauenrechtlerinnen längst auf die Ursachen der Misere, das Lebensmodell der abgeschlossenen Familie mit der für bergende Häuslichkeit sorgenden und ausschließlich auf ihre häusliche Anerkennung fixierten Hausfrau. An diesem Konstrukt arbeitete sich noch die feministische Performancekunst der 1970er ab. In Martha Roslers Video „Semiotics of the Kitchen“ etwa erscheint die in ihre Schürze geschnürte Hausfrau, die angewidert Küchenutensilien alphabetisch demonstriert, selbst als Teil des Inventars. Und Nina Sobell exerziert in „Hey, Chicky!!!“ an einem rohen Hühnchen die hausfraulichen Routinen und Rollenzuschreibungen durch: die Kochende, die Nährende, das „küchenfertige“ Sexualobjekt.

          Evke Rulffes: „Die Erfindung der Hausfrau“. Geschichte einer Entwertung.
          Evke Rulffes: „Die Erfindung der Hausfrau“. Geschichte einer Entwertung. : Bild: Harper Collins

          Wo der Topos der „guten“ Mutter, treu sorgenden Haus- und liebenden Ehefrau in Personalunion herrührt und wie er seine Wirkmächtigkeit entfalten konnte, dem geht Evke Rulffes in ihrem Buch nach. Sie verortet eine entscheidende Wandlung des Frauen- und Mutterbilds in einem Ausläufer der sogenannten „Hausväterliteratur“, Christian Friedrich Germershausens von 1778 bis 1781 in fünf Bänden zu je etwa neunhundert Seiten erschienenem Kompendium „Die Hausmutter in allen ihren Geschäfften“. Dieser Ratgeber praktischen Wissens über das Führen eines Gutsbetriebs richtete sich nicht wie genreüblich an das dem Gut vorstehende Ehepaar gemeinsam, sondern explizit an die Frau des Hauses. Die leitet den häuslichen Betrieb, ist Managerin mit Finanzhoheit, gebietet über ein mehr oder weniger großes Gesinde, überwacht die Arbeit der Bediensteten und ist fähig, das Gut auch ohne ihren Ehemann zu führen.

          Asymmetrie im Eherecht

          Im fünften Band seiner „Hausmutter“, der Themen wie Mutterschaft und Kindererziehung gewidmet ist, verfällt der brandenburgische Pastor in einen moralisierenden Ton, um, so Rulffes, ein „neues Mutterbild“ zu propagieren, „welches das Bild von der Frau in der deutschen Gesellschaft stark prägen sollte“, jenes der „guten Mutter“, die für das Kindeswohl alles hintanstellt, selbst die Leitung des Betriebs. Germershausen macht sich damit die bevölkerungspolitischen Überlegungen des aufgeklärt-absolutistischen Staats zu eigen, der Frauen die Rolle der Erzeugerin und Erzieherin möglichst zahlreicher Steuerzahler, Soldaten und Beamten zuweist.

          Als weitere Wegmarken auf dem Abstieg von der gleichberechtigten Partnerin einer Gütergemeinschaft mit Budgethoheit zur rechtlosen Haushälterin eines männlichen Haushaltsvorstands mit knapp zugemessenem Haushaltsgeld benennt Rulffes unter anderem die Durchsetzung des bürgerlichen Ideals der Liebesheirat, das die Ehefrau dazu verpflichtete, Kinderbetreuung und Hausarbeit als selbstverständlichen Ausdruck ihrer Zuneigung zu verrichten, sowie die Festschreibung der Asymmetrie im Eherecht. Das Institut der „Hausfrauenehe“, 1900 im Bürgerlichen Gesetzbuch eingeführt – Stichwort „Gehorsamsparagraf“: „Dem Manne steht die Entscheidung in allen das gemeinschaftliche Leben betreffenden Angelegenheiten zu“ –, wurde erst mit der Eherechtsreform 1977 formal beendet.

          Rulffes schreibt eine Verfallsgeschichte. Sie zeichnet die Hausfrau als Degenerationsform der Hausmutter – eine Filiation, die nicht recht einleuchtet, handelt es sich doch um gänzlich unterschiedliche soziale Kategorien. Augenfällig ist auch die Unwucht der Hausfrauen-Genealogie. Zwei Drittel sind Germershausens Opus gewidmet, das detailreich referiert und weit ausgreifend kontextualisiert wird. Was umso mehr verwundert, als die Autorin die Wirkmächtigkeit des Ratgebers abschließend in Zweifel zieht, sei er doch, so ihre Vermutung, „mehr verschenkt als gelesen“ worden. Des Rätsels Lösung: „Die Erfindung der Hausfrau“ ist im Kern die 2017 approbierte und übrigens sehr gut lesbare kulturwissenschaftliche Dissertation der Autorin, „Die angewiesene Frau. Christian Friedrich Germershau­sens ,Hausmutter‘“.

          Die hat man bei der Buchwerdung aufgepimpt durch eine aktivistische Rahmung, ein „Plädoyer für mehr Wertschätzung und Anerkennung von Haus- und Care-Arbeit, für die angemessene Bezahlung dieser Arbeit, dafür, dass sie nicht als privates Problem, sondern als öffentliche Aufgabe angesehen wird“. Ein legitimes Anliegen, aber das aktivistische Beiwerk – offenbar dem Legitimationsdruck der Kulturwissenschaften geschuldet – hätte es gar nicht gebraucht, denn die gebetsmühlenartig eingeforderte gesellschaftliche Relevanz liegt bei Rulffes’ Doktorarbeit ohnehin zutage; sie fordert geradezu auf, historische Entwicklungen und den aktuellen Stand zusammenzudenken. Hier handelt es sich ohne Zweifel um eine Entwertung: eine Entwertung wissenschaftlicher Praxis.

          Evke Rulffes: „Die Erfindung der Hausfrau“. Geschichte einer Entwertung. Harper Collins, Hamburg 2021. 288 S., Abb., geb., 22,– €.

          Weitere Themen

          Topmeldungen

          Mächtig: Die USS Gerald R. Ford auf dem Weg in den Oslo-Fjord.

          „Arctic Challenge“ : Flugzeugträger nicht weiter als bis Tromsø

          Das Luftwaffentraining „Arctic Challenge“ nahe der Grenze zu Russland ist größer denn je. Zugleich macht Norwegen dem Kreml stets Zugeständnisse. Doch Kritiker sagen, Zurückhaltung mache keinen Sinn mehr.
          Der Ventilator einer Wärmepumpe in einem Neubaugebiet in Bayern.

          Wärmepumpe : Heizstreit um die Freiheit

          Im Streit um die Wärmepumpe stehen sich zwei Positionen gegenüber: Eine will mehr Verbote, die andere will mehr Eigenverantwortung. Wie passen beide zusammen?
          Peter Simonischek und Sandra Hüller in Maren Ades „Toni Erdmann“ (2016)

          Peter Simonischek gestorben : Ein wunderbarer Wandelschauspieler

          Der späte Ruhm kam durch den Film: Auf dem weiten Feld bundesrepublikanischer Theatergeschichte nahm Peter Simonischek eine zentrale Stellung ein. Nun ist er im Alter von 76 Jahren gestorben.

          Newsletter

          Immer auf dem Laufenden Sie haben Post! Die wichtigsten Nachrichten direkt in Ihre Mailbox. Sie können bis zu 5 Newsletter gleichzeitig auswählen Es ist ein Fehler aufgetreten. Bitte versuchen Sie es erneut.
          Vielen Dank für Ihr Interesse an den F.A.Z.-Newslettern. Sie erhalten in wenigen Minuten eine E-Mail, um Ihre Newsletterbestellung zu bestätigen.