Dick Cheney : Spuren eines Monsters
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Dick Cheney, am 12. Juli 2008 in Washington, auf dem Weg zum alljährlichen Gesundheitscheck Bild: AP
Während George W. Bush desinteressiert im Oval Office saß, entwarf sein Stellvertreter die juristischen Grundlagen seiner Verbrechen im Irakkrieg, auf Guantanamo und anderswo. Eine Reihe von Sachbüchern versucht jetzt zu beweisen, wie ungebremst dieser Mann eine Parallelregierung betreiben konnte.
Am 20. Januar 2009 um zwölf Uhr mittags endet die Ära der Regierung Cheney. In zwei Legislaturperioden stürzte der Vizepräsident das Land in seine tiefste wirtschaftliche und moralische Depression. Künftige Generationen werden sich wundern, wie der Mann eine Parallelregierung betreiben konnte, ungebremst von seinem Vorgesetzten, von Gerichten oder Ministern. Amerikas künftiger Präsident wird Cheneys Chaos aufräumen müssen – wenn es dafür nicht zu spät ist.
Bradford A. Berenson, bis Januar 2003 Rechtsberater der Regierung, ist einer der Zeugen, die Cheney in Aktion erlebt haben. In John Nichols‘ Buch „Dick – The Man Who Is President“ erzählt Berenson: „Bush stand oben auf dem Mast des Schiffes und schaute in die Weite, während Cheney gleichzeitig das Ruder in der Hand hielt und unter Deck die Peitsche schwang.“ Übersetzt heißt das: Bush saß desinteressiert im Oval Office, während Cheney mit seinen Anwälten David Addington und John Yoo die juristischen Grundlagen seiner Verbrechen entwarf: Irakkrieg, Guantanamo, Plamegate, die Energie-, Umwelt-, Finanzpolitik der letzten acht Jahre.
Am Ende tat er, was der Vize will
Wer so viel kriminelle Energie entwickelt, liefert wunderbaren Stoff für Journalisten, Historiker, Künstler und Filmemacher. Amerikas Kulturschaffende arbeiten daran, die Geschichte des Mannes aus Lincoln, Nebraska zu schreiben. Die eindrucksvollsten Momente in Oliver Stones Film „W“ sind jene, in denen der Vertreter (wie ein Dämon: Richard Dreyfuss) den überforderten Präsidenten manipuliert. Bei Sitzungen des Kabinetts lungert Cheney schweigend in zweiter Reihe, während sich Rice, Powell und Wolfowitz streiten. Am Ende wird Bush ohnehin tun, was der Vize will. Von dem guten Dutzend Dokumentarfilmen über Cheney ist vor allem „The BYU 25“ sehenswert: Als Cheney 2007 an der konservativen Brigham Young University die Abschlussrede halten sollte, formierte sich ungeahnt heftiger Protest und ein Kamerateam filmte den Aufruhr der republikanischen Studenten gegen Cheneys Auftritt.
Doch wer wirklich wissen will, was seit dem 20. Januar 2001 im Weißen Haus vor sich ging, muss lesen. Die Autoren der gelungenen Cheney-Biografien teilen sich in zwei Gruppen. Jene, die ihn aus der Rolle des investigativen Journalisten beobachten. Etwa Jane Mayer vom „New Yorker“, die mit „The Dark Side – The Inside Story of How the War on Terror Turned into a War on American Ideals“ das Buch schrieb, das als Standardwerk zum Thema gilt.
Die Cheney-Doktrin
Mayer liefert erschütternde Details darüber, wie Cheney mit Addington und Yoo die Verfassung aushebelte, Folter legalisierte und geheime Gefängnisse in aller Welt gründen ließ. Weder Bush noch Außenminister Powell, Justizminister Ashcroft oder Sicherheitsberaterin Rice wussten von Cheneys Weisungen an Militär und Geheimdienste. Eingeweiht war lediglich sein ältester Freund Rumsfeld.
Der oben erwähnte John Nichols, Washington-Korrespondent von „The Nation“ schrieb auch „The Rise and Rise of Richard B. Cheney“, wo er Jugend und Karriere des Politikers betrachtet.
Ron Suskind mit „The One Percent Doctrine: Deep Inside America‘s Pursuit of Its Enemies Since 9/11“ konzentriert sich auf Cheneys Kriegshunger. Der Titel spielt auf die so genannte Cheney-Doktrin an, nach der eine einprozentige Wahrscheinlichkeit eines Ereignisses behandelt werden muss wie eine hundertprozentige Gewissheit. Der Vizepräsident meinte Massenvernichtungswaffen im Irak. Bis heute versucht er auf Basis derselben Doktrin einen Angriff auf den Iran einzufädeln.
Die andere Gruppe von Autoren besteht aus ehemaligen Weggefährten Cheneys, die sich von ihm abwandten. Ex-Finanzminister Paul O‘Neill schrieb mit Ron Suskind „The Price of Loyalty“, ein Versuch, zu klären, wie der umsichtige Dick Cheney, der unter George H. W. Bush als Verteidigungsminister eine Invasion des Irak ablehnte, zum Kriegstreiber mutierte. Richard Clarke, bis 2004 Bushs oberster Terrorismusbekämpfer, legte „Against All Enemies – Inside America‘s War on Terror“ vor. Er wundert sich, dass ihm erst Ende 2002 auffallen konnte, nur mit Cheney über die Anti-Terror-Strategie gesprochen zu haben, nie mit dem Präsidenten.