: Der Triumph des Schulmeisters
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Auch die Respektspersonen des deutschen Literaturbetriebs wurden genötigt, sich in Walter Kempowskis Poesiealbum einzutragen. Mancher hätte das wohl gelassen, wenn er gewußt hätte, was der respektlose Schulmeister vom Kreienhoop als Note daruntersetzen würde. So schrieb 1984 Erich Fried brav seine politischen ...
Auch die Respektspersonen des deutschen Literaturbetriebs wurden genötigt, sich in Walter Kempowskis Poesiealbum einzutragen. Mancher hätte das wohl gelassen, wenn er gewußt hätte, was der respektlose Schulmeister vom Kreienhoop als Note daruntersetzen würde. So schrieb 1984 Erich Fried brav seine politischen Sorgen in Gedichtform auf und setzte den "Herrn Walter" höflich mit dem von der Vogelweide gleich. Jener aber kommentierte ungerührt, man dürfe ja nicht aussprechen, daß Frieds "Gedichte unerträglich sind. Wenn man es doch tut, kriegt man einen Punkt in Flensburg." Daß solche Ordnungswidrigkeiten nun, prächtig gedruckt, ausgerechnet im Stroemfeld Verlag unter dem Roten Stern erscheinen, hätte Kempowskis Alter ego aus "Hundstage" (1988) und "Letzte Grüße" (2003), Alexander Sowtschick, vermutlich mit seinem sprichwörtlichen "Soweit kommt das noch" bedacht.
Denn für seine Darstellung des Nebeneinanders von Harmlosigkeit und Greuel in der Nazizeit war Kempowski nach dem großen Erfolg seiner Familienromane in der Verdachtskultur der siebziger Jahre als Reaktionär und Beschöniger des "Dritten Reichs" verfemt worden. Kritik wie Literaturwissenschaft ergingen sich noch bis Anfang der neunziger Jahre in Diffamierungen, nun aber wird allseits eifrig wiedergutgemacht. So richtet die Universität Bielefeld ihm ein großes Kolloquium aus, nimmt aber vorsichtshalber seinen mutmaßlichen Kommentar voraus: "Was das nun wieder soll?"
Was das soll und wie alles gekommen ist, läßt sich in der zugewandten, manchmal apologetischen, aber nie devoten Biographie nachlesen, die Kempowskis langjähriger Mitarbeiter Dirk Hempel geschrieben hat. Der Hamburger Germanist begründet Kempowskis Sonderstellung aus der Widerstandskraft eines selbstkonstruierten Bürgertums. Spezifische Gestalt bekam das Bürgerliche für den Jugendlichen vor allem als Verlust. Die "exaltierten und verschwenderischen Kempowskis", die aus kleinen westpreußischen Verhältnissen als Schiffseigner "zu den Höhen der Rostocker Bürgerlichkeit" aufgestiegen waren, ermöglichten dem 1929 geborenen Walter eine sorglose, "von einer heiteren Grundstimmung getragene" Kindheit. Die Neigung zum Unangepaßten wurde aber schon in der Schulzeit deutlich, nur den Bestrebungen der Reformpädagogik im Umkreis der Jugendbewegung zeigte er sich zugänglich.
Der Krieg zerstörte das Familienleben, das einschneidende Erlebnis der Jugend aber war 1942 die Zerstörung Rostocks durch britische Bomben. Auf Zerfall und Zwang reagierte der Hitler-Junge mit Verweigerung. Er schwänzt den Dienst und besucht statt dessen als "Swingboy" mit langem Haar und weißem Schal Kino und Cafés. Er trinkt und raucht, hört Jazzmusik auf verbotenen Sendern und liest Gedichte von Morgenstern und die "Buddenbrooks". 1944 die erste politische Brandmarke: Er wird von den Kameraden überfallen, und man schneidet ihm die langen Haare ab, anschließend wird er der Strafeinheit der "Pflichtgefolgschaft" zugewiesen.