David Abulafia: Das Mittelmeer. Eine Biographie : Von der Wasserseite aus besehen
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Bild: S. Fischer
Nirgendwo lässt sich Weltgeschichte besser studieren als rund um das Mare Nostrum: David Abulafia schreibt die Geschichte des Mittelmeers. Ein vielschichtiges Bild der welthistorischen Bedeutung des Ozeans ist das Ergebnis.
Wenn wir über das Mittelmeer reden, dann meist im Zusammenhang mit sommerlichen Postkartenträumen. Seit Jahrzehnten zieht es Heerscharen nordeuropäischer Urlauber an südliche Küsten, in denen aber nur wenige etwas anderes sehen als Garanten für Sonne, ein bisschen Dolce Vita, ein wenig mediterrane Küche. Daran haben weder die vom früheren französischen Präsidenten Sarkozy ausgerufene Mittelmeerunion noch der zuvor lancierte Barcelona-Prozess etwas geändert, beides Initiativen, denen der Gedanke einer politisch-ökonomischen Zusammenarbeit zwischen den Anrainerstaaten des Meeres zugrunde liegt. Unser Verhältnis zum Mittelmeer ist paradox: Es bleibt ein Ziel kollektiver Sehnsüchte. Als gemeinschaftlicher politischer Raum vermag es aber kaum jemanden zu inspirieren.
Warum das so ist, lässt sich nach der Lektüre des sehr umfangreichen, immens spannenden Buches über das Mittelmeer, das der englische Historiker David Abulafia geschrieben hat, noch viel weniger verstehen. In „Das Mittelmeer. Eine Biographie“ (im Original präziser: „The Great Sea. A Human History of the Mediterranean“) legt sich Abulafia mit den Großen seines Faches an. Sein Werk umfasst etwa einen weitaus größeren Zeitrahmen als Fernand Braudels Ende der vierziger Jahre erschienene Studie, die sich auf die Epoche Philipps II. beschränkte. Gleiches gilt für das von Peregrine Horden und Nicholas Purcell 2000 vorgelegte Werk („The Corrupting Sea. A Study of Mediterranean History“), das sich vor allem der Zeit bis zum frühen Mittelalter widmete.
Beobachterposten auf dem Schiff
Der Autor beginnt seine Untersuchung in dem Moment, da die ersten Menschen die Ufer des Mittelmeeres betreten, etwa 22 000 vor Christus, und durchstreift den Mittelmeerraum bis hin zur Gegenwart: achthundert Seiten Kultur- und Zivilisationsgeschichte, die alles haben, was ein künftiges Standardwerk braucht.
An der Art, wie Abulafia sein Sujet behandelt, sind vor allem zwei Dinge bemerkenswert: Zum einen schenkt er allen Zeitaltern die gleiche Aufmerksamkeit. Er beschäftigt sich mit den Migranten, die sich gegenwärtig von der nordafrikanischen Küste über das Meer nach Europa wagen, nicht länger als mit dem Untergang Trojas in der Bronzezeit oder der Gründung Alexandrias im Jahr 331 vor Christus - obwohl angesichts der Quellenlage ein anderes Vorgehen verständlich gewesen wäre. Zum anderen definiert Abulafia den Mittelmeerraum sehr eng. Er beschränkt sich „eindeutig auf das Meer selbst, samt seinen Küsten und Inseln und vor allem den Hafenstädten, die Ausgangs- und Zielpunkte für all jene waren, welche es befuhren“.
Das wirkt zuweilen so, als hätte er sich, bildlich gesprochen, einen Platz auf einem Schiff gesucht und blickte nun von dort auf die Ufer. Und diesen ungewöhnlichen Blickwinkel hält er durch. Für den Leser eröffnen sich auf diese Weise immer wieder erstaunliche Perspektiven. Den Kampf - um nur ein Beispiel zu nennen -, den Engländer und Franzosen von 1798 an im östlichen Mittelmeer austrugen, als sich Napoleon auf seinen Ägyptenfeldzug begab, schildert Abulafia nicht aus französischer, sondern aus maltesischer und russischer Sicht.
Schauplatz historischer Schlachten
Denn Napoleon sah in Malta einen guten Vorposten auf seinem weiteren Weg nach Ägypten. Er eroberte die Insel, die bis dahin unter der Herrschaft des Malteserordens gestanden hatte, im Juni 1798 just in einer Phase, in der auch der russische Zar Paul für kurze Zeit sein Auge auf das Eiland geworfen hatte. Der Zar, der den Orden ursprünglich für ein gemeinsames Vorgehen gegen die Türken hatte gewinnen wollen, in Malta gleichzeitig aber einen guten Stützpunkt für eine dauerhafte russische Präsenz im Mittelmeer erkennen wollte, wechselte daraufhin die Seiten. Er tat sich jetzt mit den Türken zusammen, um Napoleon die ebenfalls von ihm eroberten Ionischen Inseln abzunehmen.
Und obwohl dies gelang und Malta zum Greifen nahe schien, ordnete er plötzlich den Rückzug aus dem Mittelmeer an - um die Habsburger nicht zu verärgern, die über die Adria herrschten. In der Folge fiel Malta an die Briten, welche die Insel mehr als hundertfünfzig Jahre hielten. Der Malteserorden hatte seine Zeit überdauert.