Deutsche Sprache : Wer „man“ sagt, verbindet damit noch nicht den Mann
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Wer Deutsch als Fremdsprache lernt, mag in der komplizierten Grammatik schiere Schikane sehen. Bild: dpa
Vorsicht mit psychologischen Studien, die das Gendern rechtfertigen sollen: Gisela Zifonun macht mit den Besonderheiten des Deutschen vertraut und kritisiert die politisch-bürokratische Umsetzung einer geschlechtergerechten Ausdrucksweise.
„Alles, was mit Grammatik und Examen zusammenhängt, ist nie das Höhere“, dekretiert Hauptmann von Czako in Theodor Fontanes „Stechlin“. Bis heute gilt die Grammatik den meisten als ödes Regelwerk und lästiger Paukstoff ohne geistigen Glanz. Die Germanistin Gisela Zifonun, ehemals Mitarbeiterin am Institut für Deutsche Sprache, möchte ihre Leser vom Gegenteil überzeugen und ihnen die Reize sprachlicher Strukturen und Formen nahebringen. Um das Deutsche in seiner Besonderheit, aber auch in seinen verwandtschaftlichen Beziehungen zu konturieren, zieht sie in ihrem Buch immer wieder andere Sprachen zum Vergleich heran. Wer sich für Sprache um ihrer selbst willen interessiert, statt sie nur als Tummelplatz für Schulmeistereien oder als Gegenstand politischer Instrumentalisierungen zu betrachten, darf sich angesprochen fühlen.
Die Autorin schlägt in den ersten Abschnitten einen großen Bogen, der die unterschiedlichen Facetten von Sprache umfasst und philosophische Fragen wie die nach dem Verhältnis von Worten und Wirklichkeit in den Blick nimmt. Im Zentrum des Buches aber steht die Grammatik. Dies nicht nur, weil Gisela Zifonun eine ausgewiesene Expertin auf diesem Gebiet ist, sondern auch, weil Satzbau, Wortbildung und Flexion in ihrem Zusammenspiel aus Logik, kommunikativen Funktionen und den oft unsystematisch anmutenden Ablagerungen der Sprachgeschichte den Kern dessen bilden, was die Einmaligkeit menschlicher Sprache unter den Zeichensystemen der Welt ausmacht.
Schnittstelle zur Wahrnehmung
So kann sich der Leser zum Beispiel in die Geheimnisse der deutschen Adjektivflexion einweihen lassen: „Ein schöner Baum“ verliert als „der schöne Baum“ ein r im Adjektiv und „die schönen Bäume“ ein n, wenn sie nur „schöne Bäume“ sind. Dieser Wechsel zwischen „starker“, „schwacher“ oder „gemischter“ Beugung wird von Muttersprachlern nicht wahrgenommen. Wer hingegen Deutsch als Fremdsprache lernt, mag darin schiere Schikane sehen. Die Bürde des Lernens kann Zifonun ihm zwar nicht abnehmen, aber sie macht das System hinter diesen Komplikationen sichtbar: Artikel, Adjektiv und Substantiv verteilen die grammatischen Informationen jeweils so untereinander, dass der formale Aufwand beim Deklinieren für alle beteiligten Wörter in Grenzen bleibt. Dieses Prinzip der „flexivischen Kooperation“ ist eine Spezialität des Deutschen.

Im Bereich des Satzbaus konstatiert Zifonun eine „wohlgeordnete Uneindeutigkeit“: Von den Grundmustern der Satzgliedstellung, die sich in den Sprachen der Welt finden, verwendet das Deutsche gleich zwei: Im Hauptsatz steht das Verb als Satzglied an der zweiten Stelle, im Nebensatz hingegen rückt es ans Ende. Hinzu kommen als deutsche Besonderheit die Klammerstrukturen: Mancher hat ihretwegen, wenn er erschöpft am Ende des Satzes angekommen ist, dessen Anfang bereits aus den Augen verloren.
Psychologische Studien sollen das Gendern rechtfertigen
Grammatische Vergleichsstudien zählen Deutsch mit Französisch zu den „typischsten“ Sprachen Europas. Gisela Zifonun ist solchen Skalierungen gegenüber zurückhaltend. Sie sieht das Deutsche mit seiner flexiblen Wortstellung, seinen im Vergleich zum Englischen noch vielfältigen Kasusunterscheidungen und seiner Mischung aus „synthetischen“ (machte) und „analytischen“ Formen (hat gemacht) als eine innereuropäische Brücke zwischen den Sprachlandschaften dieses Kontinents.