Colin Crouch: Postdemokratie : Und sie bewegt sich noch
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Was ist Demokratie? Für den Bürger meist ein sehr abstraktes Theoriegebilde, in dem einzig der Widerstand konkret bleibt. In ihrer Abstraktheit liegt die Gefahr - denn hier wird der Wunsch nach einer Königsfigur geboren.
Bei der Monarchie ist alles einfach: Der König hat eine Krone und sitzt auf einem Thron. Und wie sieht die Demokratie aus? Sie sieht gar nicht aus wie, sagen die einen, die abstrakt denken. Konkret ist es so: Von der Demokratie hat man eines Tages irgendein Bild. Ungewiss ist, wann sich die Vorstellung herausbildet. Im Kindergarten ist es sicherlich noch nicht so weit. In der Schule wird das Wort vielleicht mit anderen Wörtern aufgefüllt, die bald vergessen werden. Bleibt der erste staatsbürgerliche Gang zur Wahlurne - ja, und das große Gefühl, das irgendwann da ist, in einer Gesellschaft zu leben, in der man weitgehend machen kann, was man machen möchte. Gesine Schwan weist gerne darauf hin, dass das Wort Demokratie hierzulande mit einem Gefühl von Wohlstand vielleicht allzu eng verbunden ist. Dieser Ansicht sind auch Leute, die darüber nachdenken, warum sich immer mehr Menschen in Deutschland - man schaue nur, was in Sachsen läuft - rechtsextremen Parteien anschließen.
Ein alter Winzer in der Nähe von Meißen, der sein Lebtag in keiner Partei gewesen ist, hat seinen Eintritt in die NPD damit begründet, er hoffe, dass es mit dieser Partei in Deutschland wieder bergauf gehen werde. Das ist ein Hinweis darauf, dass für den Winzer und seinesgleichen nicht, wie manche Szenebeobachter mutmaßen, Demokratie und Wohlstand zusammengehören, sondern vor allem Wohlstand und Deutschland. Auch wenn man über diesen Bürger und seinesgleichen sagen könnte, dass sie die Politikverdrossenheit, die landesweit von Politikern beklagt wird, überwinden, indem sie sich politisch engagieren, muss man leider sofort einräumen, dass sie das in der falschen Ecke machen.
Die vielen Gesichter der Demokratie
Nicht geklärt ist bei alldem, was mit dem Wort Demokratie in diesem oder jenem erwachsenen Kopf verbunden wird, dessen Träger wahlberechtigt ist. Das Gleiche gilt für Begriffe wie den bürgerlichen Staat oder die bürgerliche Gesellschaft. Dabei kursieren darüber genügend Vorstellungen, die in regelmäßigen Abständen erneuert oder modifiziert werden. Recht frisch sind das Wort Postdemokratie und das Wort Bewegungsgesellschaft. Man möchte annehmen, dass die beiden vielleicht zusammengehören. Eine Bewegungsgesellschaft ist eine Gesellschaft, in der sich soziale und politische Bewegungen herausbilden, zum Beispiel die Friedensbewegung, die Antiatomkraftbewegung, die Ökobewegung, die Frauenbewegung und die Antiglobalisierungsbewegung. In der Geschichte der Bundesrepublik hat es zahlreiche Bewegungen gegeben, derer man sich jetzt in einem umfangreichen und informativen Handbuch über die sozialen Bewegungen in Deutschland seit 1945 vergewissern kann.
Diese Bewegungen, so unterschiedlich ihre Anliegen sind, lassen sich einteilen erstens in Bewegungen, die mit Forderungen unterm Arm auf den Staat zulaufen, wie die Friedensbewegung, denn es ist der Staat, der die Waffen abrüsten soll. Zweitens in Bewegungen, die dem Staat den Rücken zukehren, wie die antiimperialistischen Bewegungen, denn man vermutet im Staat den imperialistischen Aggressor. Und drittens in Bewegungen, die gleichsam wie Pärchen und Passanten neben dem Staat herlaufen, zum Beispiel die Ökobewegung, denn man braucht nicht unmittelbar den Staat, um einen Demeterhof zu gründen. Schwerhöriger Staat.