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Claudia Bruns: Politik des Eros : Und wie steht es mit der Männerfrage?

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Es musste auch ohne die verwirrenden Frauen gehen: Claudia Bruns gewinnt dem Männerbündler und Sonderling Hans Blüher manche Einsichten in das Verhältnis von Politik und Männlichkeit um 1900 ab.

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          Man stelle sich vor, man gelange auf einer langen Reise, die Traum und Wirklichkeit verschwimmen lässt, zu einer Pension. Erschöpft bezieht man das Zimmer, das einem der wunderliche Portier zugewiesen hat, und erstaunt stellt man fest, dass es sich um kein gewöhnliches Zimmer handelt: Vielmehr ist man geradewegs im Oberstübchen, in der Innenwelt eines Menschen gelandet. Verwirrt-verstohlen ergreift man die Gelegenheit, sich im Leben dieses Menschen umzuschauen.

          Wie dem Ankömmling in der Pension, so ergeht es dem Leser des Buches von Claudia Bruns. Man wird eingeladen zur Besichtigung der Innenwelt eines Sonderlings. Das Buch bietet nicht nur einen Abriss zum Verhältnis von Politik und Männlichkeit um 1900, vor allem gewährt es Einblick ins Leben, Denken und Fühlen Hans Blühers. Nur als Nebenfiguren lässt Bruns noch andere bewegte Männer des frühen zwanzigsten Jahrhunderts auftreten, so etwa Heinrich Schurtz, der als Völkerkundler die Männerbund-Propaganda vom Zaun brach, oder den „Maskulinisten“ Benedict Friedländer.

          Weiberfreie Gesellschaft

          Dass Hans Blüher ein Sonderling war, ist allerdings fast schon untertrieben; er selbst erklärte im Jahre 1912, er sei als „eine ziemlich pathologische Natur“ dabei, sich in „eine Art Explosivkörper“ zu verwandeln. In Blühers Geschichte mischen sich auf verzwickte Weise Abseitiges und Einschlägiges, Furchtbares und Bedeutsames. Er trieb die Wandervögel zur Ekstase, wollte die wahre Männlichkeit vor dem „entartenden“ Einfluss von Frauen und Juden schützen und pries die Homosexualität als höchsten Zustand des Menschseins. Er war ein schrecklich schräg justierter Seismograph für Spannungsfelder in der Moderne – und er stellte eine Frage, die der im späten neunzehnten Jahrhundert heftig diskutierten „Frauenfrage“ eigentlich auf dem Fuße hätte folgen müssen und doch heute noch sperrig klingt: „Und wie steht es mit der Männerfrage?“ Sei es nicht „interessant für unsere Art zu denken“, so Blüher 1917, „dass es dieses Wort überhaupt nicht gibt?“

          Blüher und seine Mitstreiter machten im Tragwerk moderner Gesellschaften eine wacklige Stelle ausfindig. Wir seien, so schrieb Blüher 1913, „längst darüber hinaus, in der Familiengründung die Grundlage zur Staatenbildung zu sehen“. Damit lag er richtig: Er bekräftigte nur ein Prinzip, das sich seit dem siebzehnten Jahrhundert in der westlichen Welt langsam, aber sicher durchgesetzt hat: dass die Politik nämlich nicht nach dem Modell der patriarchalen Familie organisiert werden soll und die monarchische Herrschaft des Landesvaters von einer Gesellschaft der Gleichen abzulösen ist. Und doch blieb die neue Grundlage der Politik wacklig: Umstritten war, ob neben den Männern auch die Frauen zu dieser Gesellschaft der Gleichen Zugang erhalten sollten; und offen blieb auch, wie Politik und Familie neu zueinander ins Verhältnis zu setzen seien.

          Homosexualität als völkische Angelegenheit

          Claudia Bruns führt vor, wie Blüher und seine Mitstreiter mit großer Verve eine Lösung für jene offenen Punkte entwickeln, die zugleich simpel und radikal verdreht ist. Diese Lösung setzt an bei der alten Devise, dass die Politik Sache der Männer, die Familie Sache der Frauen sei. Um nun aber sicherzustellen, dass die Männer vom „weichen, unheldischen, trägen“ Einfluss der Frauen ferngehalten werden, müssen sie nach Blüher ihre Identität ausschließlich im „Männerbund“ finden. Der Bund ist ein Sammelbecken für Männer, die vor den Frauen die Beine in die Hand nehmen.

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