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Christian Fuchs und John Goetz: Geheimer Krieg : Die Drohnen fliegen, und die Verfassung ist geduldig

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Bild: Verlag

Doch Polizeieinsätze werden nicht helfen: Die Reporter Christian Fuchs und John Goetz spüren dem deutschen Beitrag zum amerikanischen „Krieg gegen den Terror“ nach.

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          Christian Fuchs und John Goetz, spätestens seit ihrer Arbeit zur NSU ausgewiesene Experten für investigativen Journalismus, haben ein Buch mit Bestsellerpotential vorgelegt: ein Reizthema, das seit dem Lauschangriff der NSA auf Angela Merkel in der öffentlichen Diskussion steht, gut geschrieben, mit plausiblen, in aller Regel gut begründeten Schlussfolgerungen aus allerlei mehr oder minder geheimen Quellenschnipseln.

          Die beiden für den NDR tätigen Reporter haben offenkundig intensiv recherchiert und weisen detailliert nach, dass der amerikanische „Krieg gegen den Terror“ auch von deutschem Boden aus geführt wird. Insbesondere unterhalten die Amerikaner in Stuttgart, Ramstein, Neuss und andernorts Stabsstellen, von denen aus beispielsweise Drohnenangriffe auf Ziele in Somalia durch Informationsanalysen vorbereitet und koordiniert werden.

          Deutschland trägt Mitverantwortung

          Nur um ganz sicherzugehen: Die eigentlichen Angriffe werden nicht von deutschem Boden aus geführt, sondern von amerikanischem Territorium. Aber ohne die Logistik der Amerikaner in Deutschland und ohne die Hilfe bundesdeutscher Behörden, des BND etwa, wären sie in dieser Form nicht möglich. Genau dies aber stellt ein gravierendes Problem dar.

          Entgegen manch irrtümlicher Ansicht über die durch Relikte des Besatzungsstatuts, alliierte Vorbehaltsrechte und Nato-Befugnisse eingeschränkte Souveränität Deutschlands ist die Bundesrepublik ein souveräner Staat, der zumindest, neben der amerikanischen Hauptverantwortung, eine Mitverantwortung für Anschläge auf Terrorismusverdächtige, die immer auch zivile Opfer mit sich bringen können, trägt.

          Exekutive wird zur Heiligen Inquisition

          Eine derartige Verantwortlichkeit aber lastet schwer, wenn zum einen klar ist, dass es sich um völkerrechtswidrige Akte der Aggression handelt und dass zum anderen in vereinzelten Fällen sowohl amerikanische wie deutsche Staatsbürger derartigen Tötungsakten zum Opfer fallen. Dies bedeutet nichts anderes als das faktische Ende einer der großen konstitutionellen Errungenschaften der Moderne, nämlich der Gewaltenteilung.

          Die Exekutive wird Ankläger, Richter und Henker in einer Instanz, wie einst die Heilige Inquisition - nur ging diese mit ihrer Macht sorgfältiger um. Letztlich bedeutet dies Verfassungsbruch. In den Vereinigten Staaten schützt der 5. Verfassungszusatz vor exakt solchem Vorgehen, in der Bundesrepublik Artikel 2 und 102 des Grundgesetzes.

          Kontinuität zum Kalten Krieg

          Die Tötung von Bundesbürgern, und solche Fälle hat es vereinzelt gegeben, durch die Geheimdienste und bewaffneten Streitkräfte einer befreundeten Macht, mit Wissen und Unterstützung der deutschen Regierungen, das sollte zumindest ein gravierendes Problem darstellen, um dessen Lösung man in demokratischer Weise ringt. Und was sagen sämtliche Bundesregierungen seit 2005 dazu? Nichts!

          Sie wissen nichts, sie hören nichts, sie glauben alles, was die Amerikaner ihnen sagen, offiziell zumindest. CIA und NSA können demnach auf deutschem Territorium und mit Zutun deutscher Nachrichtendienste nach eigenem Gutdünken wirken, ohne dass die Bundesrepublik ihrer Aufsichtspflicht auch nur annähernd nachkommen würde. Dieser Skandal wird um nichts geringer, wenn man daran erinnert, wie sehr er in der institutionellen und praktischen Kontinuität zum Kalten Krieg steht. Es gibt keine Gleichheit im Unrecht.

          Nicht jedes Verhöre ist skandalös

          Und dennoch machen es sich Fuchs und Goetz etwas zu leicht. Gewiss kann niemand von Journalisten Patentlösungen für alle Probleme erwarten, die sich aus dem Kampf gegen weltweit operierende terroristische Organisationen ergeben. Aber zumindest eine Diskussion der Frage, welche Optionen die Regierungen der Vereinigten Staaten, der Europäischen Union oder auch Russlands denn haben, darf man einfordern. Immerhin operiert das Gros der Terrornetzwerke von sicheren Stützpunkten im Ausland aus und nutzt moderne Kommunikationstechniken und Reisemöglichkeiten, um aktive Zellen vor Ort zu lenken.

          Wie will man mit den Mitteln des Rechtsstaates dagegen vorgehen? Ein Polizeieinsatz in Somalia oder Wasiristan würde bestenfalls lächerlich wirken. Die Rede von der Notwendigkeit, mit polizeilichen Mitteln gegen Terroristen vorzugehen, wirkt angesichts der Realitäten anachronistisch, vorgestrig. Und Verhöre von Flüchtlingen und Asylbewerbern aus Afrika durch den BND, wie sie in dem Buch geschildert werden, sind nun wirklich weder überraschend noch skandalös.

          Tötungsakte mit ungeklärtem legalem Status

          Was also bleibt? Zumindest eine öffentliche Diskussion über das, was sinnvoll, möglich und legal ist, sollte in einer demokratischen Gesellschaft möglich, ja unumgänglich sein. Das Schweigen von Regierung und Parlament wird diesem Anspruch ebenso wenig gerecht wie die komatöse Interesselosigkeit einer betäubten Öffentlichkeit.

          Zwei weitere Kritikpunkte sind noch anzubringen: Ähnlich wie in Fernsehreportagen ist es leider auch in den Printmedien üblich geworden, die Selbstinszenierung des Journalisten ins Zentrum der Aufmerksamkeit zu rücken. Statt der Sache rücken so Personen in den Vordergrund. Das wirkt stellenweise selbstverliebt und muss nicht sein. Außerdem neigen beide Autoren dazu, mit Blick auf die Drohnenattentate von „Hinrichtungen“ zu sprechen. Dies aber suggeriert einen Rechtsakt, denn, wie immer man auch zur Todesstrafe stehen mag, eine Hinrichtung folgt einem rechtsstaatlichen Prozedere. In diesem Fall aber handelt es sich um Tötungsakte, deren legaler Status ungeklärt ist, aber dringend der Klärung bedarf.

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