Neue Deutsche Welle : Weg mit dem Grauschleier
- -Aktualisiert am
Das war DAF: Gabi Delgado-López (rechts) und Robert Görl 1980 in Hamburg Bild: ddp
Die Türken von morgen: Ulrich Gutmair erzählt in seinem Buch, wie Punk und die Neue Deutsche Welle in den Achtzigerjahren das Land überspülten.
„Bir, iki, üç, dört“: Anfang der Achtzigerjahre zählt die junge Band Rotzkotz ihre Musik auf Türkisch ein. Bis dahin hat deutsches Liedgut seinen Takt für gewöhnlich durch „Zwo, drei, vier“ erhalten – oder erst wenige Jahrzehnte zuvor durch das Klacken marschierender Stiefel. Rotzkotz sind deutsche Knaben aus der Provinz (Hannover) und singen Sachen wie „Deutsche Land, Wunderland, Arbeitsland, Gefühlskrankland“. Singen „Muselmanen schleichen durch die Nacht“, und von jenen Muselmanen (nannte man damals so) gibt es da in der Bundesrepublik bereits viele Millionen.
Als Gastarbeiter (auch das nannte man damals so) findet man sie auf Baustellen, unter Tage oder bei Ford am Fließband. Hingegen kaum: in Talkshows, Fernsehdrehbüchern oder Liedtexten im Radio. Der Autor und „taz“-Journalist Ulrich Gutmair schreibt in seinem Buch „Wir sind die Türken von morgen“ nun darüber, wie sich das zaghaft zu ändern begann – und Bands wie Rotzkotz, The Wirtschaftswunder oder DAF zu kulturellen Vehikeln der Einwanderungsgesellschaft wurden. Wie sich also der Punk und die Neue Deutsche Welle (NDW) zu Repräsentationsdiskursen der Migrantisierten (nennt man heute so) verhielten.
Alternde Hippies in den Tonstudios
Von Einwanderungsgesellschaft durfte damals allerdings – „mir kommt kein Türke mehr über die Grenze“ (Helmut Schmidt) – staatsoffiziell noch keine Rede sein. Ulrich Gutmair erinnert daran, wie stark sich die Siebzigerjahre den damals Jugendlichen als Heimatfilm präsentierten. Was man in der Rückschau oft vergisst, auch dank der Erzählungen, wie sehr sich die Bundesrepublik in den Jahren nach 1968 – übrigens das Geburtsjahr des Buchautors – modernisiert haben soll. Und ja auch zweifellos hat, drohte vorher doch zum Beispiel noch jenem das Gefängnis, den man beim Sex mit Geschlechtsgenossen schnappte.
Jedenfalls: Über den Siebzigern, vor allem den späten, liegt ein „Grauschleier westdeutscher Langeweile“, wie es der Publizist Karl Heinz Bohrer formulierte. Quer durch fast alle politischen Lager herrscht ein Konservatismus, der neue Impulse erstickt. In Jugendzentren und Tonstudios sind es alternde Hippies, die noch nicht wissen, dass es sie nicht mehr gibt. Ehemalige Intellektuelle wie Martin Walser, die zehn Jahre zuvor noch Marx gelesen haben, fordern nun deutschtümelnd die Verpflichtung auf das Brauchtum: „Unsere nationale und gesellschaftliche Ratlosigkeit ist eine Folge unserer Entfremdung von unserer Geschichte“, schreibt er 1978.
Was dem Rechten der Iwan, ist manchem Linken der Yankee; in bewusster Abgrenzung zum „Ami-Sound“ singen Demonstranten plötzlich alte Volkslieder wie „Hejo, spann den Wagen an“, umgedichtet zu Schlachtgesängen gegen Kernkraftwerke. Wer sich in dieser Zeit die Ohren mit Sicherheitsnadeln perforiert, seine Jeans durchlöchert und Haare aufstachelt, erhält in den Fußgängerzonen von Hamburg bis München von Passanten mit zwölfjähriger Lücke im Lebenslauf den sachdienlichen Hinweis: Euch Gesocks hätte man damals zu Seife verarbeitet.
Deutsch wird zur coolen Popsprache
Dieses Gesocks, es sind 16-Jährige, 17-Jährige, selten Erwachsene. Gutmair beschreibt, wie sie in weiß getünchten Schuppen mit hyperaktiver Neonbeleuchtung – dem Düsseldorfer Ratinger Hof oder dem Kreuzberger SO36 – zu Songs wie jenem von Fehlfarben tanzen, der seinem Buch den Titel spendiert. „Kebabträume in der Mauerstadt / Deutschland, Deutschland, alles ist vorbei / Wir sind die Türken von morgen“. Ausführlich zitiert Gutmair alte „Spiegel“-Zeilen wie „Die Türken kommen: Rette sich, wer kann“. Aus den Mündern deutscher Sex-Pistols-Derivate klingt dieses Szenario jedoch plötzlich wie eine Verheißung: „Mit diesem Deutschland ist es vorbei. Ein neues Deutschland ist längst im Begriff zu entstehen.“