Brendan Simms Buch "Hitler" : Der Kapitalismus war der eigentliche Feind
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Ging es etwa immer nur gegen England und Amerika? Plakat Reichstagswahlen 1924 mit Karikatur des „kapitalistischen Juden“. Bild: Picture-Alliance
Der Historiker Brendan Simms sieht Adolf Hitler bis zuletzt vom Westen besessen und breitet diese These auf über tausend Seiten aus. Dabei fehlt nicht nur die Gegenprobe, sondern auch der historische Kontext.
Der britische Historiker Brendan Simms stellt in seinem Buch eine markante These auf: Hitlers Hauptaugenmerk habe während seiner gesamten Laufbahn vorwiegend, wenn nicht ausschließlich, dem Kampf gegen Großbritannien und die Vereinigten Staaten gegolten, gegen den „globalen Kapitalismus Anglo-Amerikas, und nicht dem Kampf gegen den Bolschewismus oder die Sowjetunion. Judenpolitik und Holocaust seien dagegen nur von nachgeordneter Bedeutung in Hitlers Kampf gegen den kapitalistischen Westen gewesen. Angesichts dieser Befunde müsse „die Geschichte des ‚Dritten Reiches‘ insgesamt grundsätzlich neu überdacht werden“.
Nun ist es nicht so, als sei die strategische Ausrichtung Hitlers gegen die Westmächte bisher unbeachtet geblieben. In den großen Hitler-Biographien, von der verzweigten Spezialliteratur nicht zu sprechen, spielt Hitlers widersprüchliche Ausrichtung auf die angelsächsischen Mächte durchweg eine wichtige Rolle. Wollte Simms nachweisen, dass die „Anglo-Amerikaner“ in Hitlers Denken eine stärkere Rolle spielten als bisher gedacht, hätte er dazu einen Aufsatz schreiben können, in dem er die entsprechenden Passagen in den Schriften und Reden des „Führers“ untersucht und etwa mit den Äußerungen über den Bolschewismus, die Juden, die Sozialdemokratie oder auch Frankreich vergleicht.
Traktat über Hitlers Westbesessenheit
Tatsächlich aber breitet Simms seine These von der antibritischen und antiamerikanischen Obsession Hitlers über tausend Seiten und in unzähligen Wiederholungen und Varianten aus. Er hat für sein Buch in den verfügbaren Reden, Interviews, Büchern und Anweisungen Hitlers allein jene Stellen herausgesucht, in denen dieser Großbritannien und die Vereinigten Staaten erwähnte. So erweckt Simms den Eindruck, als habe der „Führer“ tagein, tagaus über nahezu nichts anderes gedacht, geredet und geschrieben als über „Angloamerika“.
Eine Gegenprobe gibt es nicht. Die Aussagen über Frankreich, über den Bolschewismus oder den Marxismus, womit in der Regel die Sozialdemokraten gemeint waren, werden nicht analysiert. Auch der historische Kontext spielt für den Autor keine große Rolle, ihn habe nur Hitler interessiert, und sein Buch sei „daher ,kontextleicht‘ und ‚hitlerzentriert’“. Eine klassische Biographie hat er tatsächlich nicht geschrieben, eher einen Traktat über Hitlers Westbesessenheit und womöglich auch jene des Autors.
Bereits als Soldat im Ersten Weltkrieg, so Simms, sei Hitler von der zähen Stärke der ihm gegenüberliegenden britischen Truppen beeindruckt gewesen. Seit dem Ende des Kriegs habe sich Hitlers Wut dann auf den internationalen Kapitalismus und die Westmächte gerichtet. Nicht die Sowjetunion und der Bolschewismus seien der Ausgangspunkt für Hitlers Antisemitismus gewesen, sondern „Anglo-Amerika“ und das damit weitgehend identische „internationale jüdische Börsenkapital“. Die Auseinandersetzung mit den „Novemberverbrechern“, mit der Sozialdemokratie und dem Bolschewismus spart Simms hier aus, ebenso Frankreich, das in dem ganzen Buch nahezu nicht erwähnt wird. In „Mein Kampf“ spricht Hitler an 36 Stellen von den Vereinigten Staaten, aber an 62 von Frankreich.