Der weibliche Beethoven
- -Aktualisiert am
In ihrer Zeit hoch geschätzt, danach fast vergessen, heute wieder eingespielt: Emilie Mayer. Bild: Mauritius
Emilie Mayer war vermutlich die erste Frau der Romantik, die große Symphonien schrieb. Und sie hatte Erfolg. Barbara Beuys begibt sich auf die Spurensuche nach ihr.
Als Emilie Mayer 1851 in der Markgrafenstraße 72, heute Berlin-Kreuzberg, eine eigene Wohnung bezog, ließ sie im Adressbuch der Stadt die Berufsbezeichnung „Componistin“ eintragen. Das allein war schon eine Nachricht. Denn die „Rheinische Musik-Zeitung für Kunstfreunde und Künstler“ bemerkte in ihrer Ausgabe vom 5. April desselben Jahres: „Emilie Mayer ist eine Dame, die ihre Zeit fast ausschließlich mit Componieren zubringt.“ Da man zu jener Zeit gegen berufstätige Frauen allerlei Vorurteile hegte, die für Naturgesetze gehalten wurden, lieferte der Artikel gleich ein Porträt der Komponistin mit, das die Bedenkenträger entwaffnen sollte: „Wer sie persönlich kennt, weiss, dass an Eitelkeit, Ueberspanntheit und dgl. Motive bei ihr gar nicht zu denken ist; man würde sich überhaupt ganz falsche Vorstellungen von ihr machen, wenn man sie sich so vorstellte, wie die Frauen, die die natürlichen Schranken des weiblichen Talents überschreiten, meistens sind. Sie ist still und bescheiden, durchaus weiblich und fühlt in ihrer musikalischen Thätigkeit eine stille selige Befriedigung, die ihr ganzes Lebensglück auszumachen scheint.“
Bescheidenheit und stilles Glück – wir wissen nicht, ob das ein Wesenszug von Emilie Mayer war oder eine biedermeierliche Strategie der Erschleichung sozialen Wohlwollens. Was wir aber wissen, ist, dass ihre Lebensleistung als Komponistin alles andere als bescheiden und still war. Neun Streichquartette, jeweils ebenso viele Violin- und Cellosonaten, hat sie geschrieben, dazu Lieder und Klaviermusik, darunter ein Konzert für Klavier und Orchester. Das allein wäre schon bemerkenswert genug, weil Emilie Mayer mit dieser Menge an Werken den zwei bekanntesten Komponistinnen des neunzehnten Jahrhunderts, Fanny Hensel (getaufte Mendelssohn Bartholdy) und Clara Schumann (geborene Wieck) an die Seite gestellt werden muss. Doch Mayer gelang weit mehr. Mit acht Symphonien schaffte sie den Durchbruch in einem Genre, das erstens als Gipfel der Instrumentalmusik galt und zweitens durch und durch männlich konnotiert war: als Revier des titanischen Genies, das – in der Nachfolge Beethovens – seine eigene Subjektivität ausdrücke.
Barbara Beuys referiert diesen wichtigen Kontext in ihrer schlanken, schön zu lesenden Biographie über Emilie Mayer. „Europas größte Komponistin“ lautet der Untertitel, der reißerisch klingt, aber gemessen an der epochalen Tat Mayers nicht verfehlt ist. Der zweite Untertitel, „Eine Spurensuche“, deutet an, dass es nur wenige Originalquellen gibt, aus denen sich das Leben Mayers rekonstruieren lässt. Einundzwanzig Briefe in der Berliner Staatsbibliothek gehören dazu, die biographische Skizze von Elisabeth Sangalli-Marr aus der „Neuen Berliner Musikzeitung“ von 1877, Wilhelm Tapperts Aufsatz über „Die Frauen und die musikalische Composition“ im „Musikalischen Wochenblatt“ von 1871 sowie zahlreiche Rezensionen. Freilich kann sich Beuys schon auf eine solide Forschung zu Mayer verlassen, allen voran die Biographie von Almut Runge-Woll sowie den von Cornelia Bartsch herausgegebenen Kongressbericht „Der ‚männliche‘ und der ‚weibliche‘ Beethoven“, denn als „der weibliche Beethoven“ wurde Mayer von ihren eigenen Zeitgenossen durchaus begriffen.