Agrarindustrie & Genetik : Steht denn die Vielfalt auf dem Spiel?
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Arbeiterinnen in der chinesischen Provinz Gansu legen Maiskolben zum Trocknen für die Gewinnung der neuen Aussaat aus. Bild: picture alliance / Wang Jiang / Costfoto
Genetische Erosion? Helen Anne Curry zeigt am Beispiel von Mais, dass die Klage über das Verschwinden von Sorten mit Vorsicht zu genießen ist.
Mais entstand vor zehntausend bis sechtausend Jahren in Mexiko durch die Domestikation der Grasart Teosinte. Heutzutage werden weltweit jährlich mehr als eine Milliarde Tonnen dieser Getreideart geerntet, sie trägt damit zwanzig Prozent zur Kalorienversorgung der Weltbevölkerung bei. In Mexiko ist Mais aber weit mehr als ein Grundnahrungsmittel – es ist das Nahrungsmittel, das „die Götter gewählt haben, um die Menschheit zu ernähren“. Mais spielt eine ungemein wichtige Rolle nicht nur im Alltagsleben als Grundlage zahlloser Gerichte, sondern auch in religiösen Ritualen und kulturellen Praktiken. Diese Vielzahl von Nutzungen und Rollen spiegelt sich in einer großen Vielfalt von Maissorten wider: Es gibt Sorten mit weichen oder harten Körnern, mit hohem Zuckergehalt, mit verschiedenen Reifezeiten, mit Körnern in fast allen Farben des Spektrums.
Wenn man allerdings Maisfelder in Europa oder Nordamerika betrachtet, sieht alles sehr einheitlich aus. Unterschiede zwischen den Sorten sind meist nur Fachleuten erkennbar. Seit die Industrialisierung der Landwirtschaft zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts Fahrt aufnahm, gibt es die Sorge, dass ein Rückgang der genetischen Vielfalt auf den immer einheitlicher werdenden Feldern eine langfristige Bedrohung der Ernährungssicherheit bedeuten könnte. „Genetische Erosion“ und das Verschwinden alter Sorten oder wilder Arten, die mit kultivierten Arten nahe verwandt sind, werden regelmäßig als Gefahren von Landwirten, Züchtern, Behörden und Umweltschützern beschworen.
Die Wissenschaftshistorikerin Helen Anne Curry zeigt nun am Beispiel von Mais, welche Anstrengungen seit mehr als hundert Jahren in den Vereinigten Staaten, Mittel- und Südamerika unternommen wurden, um die Vielfalt des Maises zu schützen und für Züchter zu erhalten. Mexiko war das Land, in dem die „Grüne Revolution“ ihren Anfang nahm: Die Rockefeller Foundation finanzierte dort in den Vierzigerjahren Projekte, die agrarwissenschaftliche Forschung und Züchtung stärken sollten, wodurch Kleinbauern – als politisch unruhig eingeschätzt – dazu gebracht werden sollten, moderne Sorten anzubauen und zuverlässige Teilnehmer am kapitalistischen Markt zu werden.
Was diese Grüne Revolution Kleinbauern in Mittel- und Südamerika tatsächlich brachte, ist immer noch umstritten. Oft übergangen wird aber, dass die Projekte auch das Sammeln und die langfristige Erhaltung genetischer Vielfalt von Kulturpflanzen zum Ziel hatten. Denn den beteiligten Wissenschaftlern war klar, dass veränderte Anbaumethoden der Kleinbauern massive Folgen für die genetische Vielfalt des Maises haben würden. Man erachtete die Lebensweisen indigener Völker als dem Untergang geweiht und ging davon aus, dass damit auch die an spezifische Umwelten, Anbaupraktiken und kulinarische Vorlieben angepassten Maissorten verschwinden würden. Currys Fazit lautet, dass die Züchtung neuer Sorten auf Einheitlichkeit zielte, während die Überzeugung herrschte, dass Vielfalt nur in den Kühlschränken der Genbanken bewahrt werden konnte. Die indigenen Maissorten wurden damit zu „genetischen Ressourcen“.