Thomas A. Szlesák über Platon : Der Schlüssel steckt im siebten Brief
- -Aktualisiert am
Plötzlich tritt Verständnis in die Seele: Büste Platons im Pariser Louvre Bild: Picture Alliance
Nur nicht gleich nach Einwänden und Anschlüssen suchen: Thomas A. Szlezák führt durch Platons Texte.
„Meisterdenker“ ist eigentlich kein Ehrentitel mehr. Nicht seit 1977, als André Glucksmann sein Buch „Les maîtres penseurs“ herausbrachte und die Nebenbedeutung von maître als „Zuchtmeister“ darin auch die deutsche Vokabel etwas zerschrammte. Glucksmanns Buch war eine Abrechnung mit den großen philosophischen Erzählungen als den Hebammen des Totalitarismus, eine Kritik an Fichte, Nietzsche, Hegel und Marx. Letztere beide hatte zuvor schon Karl Popper zu Feinden der offenen Gesellschaft erklärt, aber erst nachdem er mit einem anderen Denker fertig war: Platon.
Nun hat der Tübinger Gräzist Thomas Alexander Szlezák eine umfassende Darstellung Platons mit dem Untertitel „Meisterdenker der Antike“ vorgelegt. Das provoziert die Frage, ob er seinem Gegenstand hier vielleicht ebenfalls kritikwürdige Einflüsse auf seine geistige Nachwelt zu attestieren versucht – oder aber im Gegenteil ihn vor derlei gerade in Schutz nehmen möchte. Eigentümlicherweise verflüchtigt sich das Interesse an dieser Frage bereits am Beginn des ersten Kapitels. Es weicht vielmehr wachsender Neugier auf einen Philosophen, über den man eigentlich schon etwas zu wissen glaubte, jedenfalls mehr als über manch andere Gestalten der abendländischen Philosophiegeschichte – besteht diese doch nach Alfred North Whiteheads berühmter Bemerkung von 1929 ohnehin nur aus Fußnoten zu Platon.
Szlezák aber geht es gerade nicht darum, wo in Platons Schriften welche dieser Fußnoten nun zu verorten wären, welchen Interpretationen, Anverwandlungen und Missverständnissen sie sich verdanken oder gar wie sie heute zu bewerten wären. „Platon hat als Denker und Dichter den Test der Zeit bestanden wie kein Zweiter“, schreibt Szlezák. „Sein Werk hat es nicht nötig, in den sich wandelnden intellektuellen Konsens jeweils neu hereingeholt und – unter diesem oder jenem Aspekt – ,neu entdeckt‘ zu werden.“ Was der Autor stattdessen unternimmt, ist eine Kartierung des geistigen Kosmos Platons: seiner schriftstellerischen Mittel und Ziele, seiner Wissenschaftslehre, seiner Anthropologie, Kosmologie, politischen Philosophie, seiner Fundamentalphilosophie samt der berühmten Ideenlehre und schließlich, bewusst als Schlussakkord des Buches, Platons Theologie. Es ist ein Platon-Atlas für philosophisch interessierte altphilologische Laien – alles Griechisch ist transliteriert –, die verstehen möchten, worum es dem Athener Denker ging.
Dabei zieht Szlezák die überreiche Sekundärliteratur meist nur dort heran, wo es um Elemente der Rezeptionsgeschichte geht, die sich in seinen Augen allzu sehr zwischen uns und Platons Texte geschoben haben. Diese Texte aber sind – neben Erwähnungen Platons bei anderen antiken Autoren – seine alleinige Grundlage: jene siebenundzwanzig sogenannten Dialoge, bei denen man davon ausgehen kann, dass sie tatsächlich von Platon stammen. Er ist der erste und neben Plotin einzige antike Philosoph, von dem kein Werk verloren ging. Doch wurde unter seinem Namen noch mehr überliefert, darunter dreizehn Briefe, deren Echtheit in den meisten Fällen zumindest zweifelhaft ist.