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Kinderbuch von Zoran Drvenkar : Wie erzählt man Kindern vom Krieg?

Warnsätze und Wurfgeschosse: Die Leser müssen mit der Geschichte in Zoran Drvenkars „Kai zieht in den Krieg und kommt mit Opa zurück“ vorsichtig umgehen. Bild: picture alliance / Shotshop | Photology2000

Zoran Drvenkar findet in „Kai zieht in den Krieg und kommt mit Opa zurück“ bergende Bilder und Worte für eine harte Geschichte.

          2 Min.

          Es gibt genug Warnungen. Ganz deutliche. Wobei man das Bedrohliche eines Satzes wie „Die Welt ist, wie sie ist“ vielleicht nicht auf den ersten Blick erkennt. Und dass die Behauptung, das Leben sei unberechenbar, vielleicht sogar ein Trost sein kann, leuchtet auch nicht jedem auf Anhieb ein. Aber wenn das so ist, dann ist auch alles möglich. Sogar, dass Kai, der elf Jahre alt ist, mit seinem Großvater, der schon 100 ist, in einen Krieg zieht, den der Opa 80 Jahre zuvor als Soldat erlebte.

          Eva-Maria Magel
          Leitende Kulturredakteurin Rhein-Main-Zeitung.

          Kai ist ein kluger Junge, deshalb ist ihm schon lange klar, dass ein Teil seines Opas seit Jahrzehnten im Krieg feststeckt. Der originelle Großvater, der Bücher liebt und von einem indischen Kriegskameraden Yoga gelernt hat, ist offenbar traumatisiert. Hat aber dem Enkel immer wieder Heldentaten als seine Kriegserlebnisse erzählt, von Gefechten ohne einen einzigen Toten, von gelungenen Fluchten und von einem glorreichen Moment, in dem der damals junge Großvater mutig vor General und Politik trat, Frieden forderte – und bekam. Alles Lügen, man weiß das als Leser sofort. Nur Kai wusste es nicht, noch nicht.

          Seine Aufgabe ist im Grunde eine andere, die mit einem Thema zu tun hat, das im Kinderbuch seit etlichen Jahren Konjunktur hat: Demenz. Nach Büchern wie Martin Baltscheits Bilderbuch „Die Geschichte vom Fuchs, der den Verstand verlor“, Tamara Bos’ „Romys Salon“ oder Milan Gathers Erfolgsstück „Oma Monika – was war“ verbindet Zoran Drvenkar seine Erzählung aus dem Krieg mit dem Gedächtnisverlust des Großvaters. Denn sein Enkel tut, was der Titel verrät: „Kai zieht in den Krieg und kommt mit Opa zurück“. Eine Art Therapieversuch durch Reenactment, eine Phantasiereise mit dem dementen Großvater.

          Zoran Drvenkar: „Kai zieht in den Krieg und kommt mit Opa zurück.“ Roman. Hanser Verlag, München 2023. 160 S., geb., 17,– €. Ab 11 J.
          Zoran Drvenkar: „Kai zieht in den Krieg und kommt mit Opa zurück.“ Roman. Hanser Verlag, München 2023. 160 S., geb., 17,– €. Ab 11 J. : Bild: Hanser Verlag

          Kai, der zu Opa sagt: „Ich bin dein Gedächtnis“, ist in diesem Fall der Soldat an Opas Platz. Und erfährt bis zum bittersten Moment, wie der Krieg in Wahrheit gewesen ist. Nicht nur der Titel und die einleitenden Merksätze vor manchen Kapiteln markieren überdeutlich, dass es hier um sehr ernste Dinge geht. Es wird geschossen und gestorben in diesem Buch, und das wirkt umso grausiger, als mittlerweile seit einem guten Jahr in nächster Nähe zu uns geschossen und gestorben wird.

          Keine Angst vor Ernsthaftigkeit

          Der Berliner Autor Zoran Drvenkar, Jahrgang 1967 und Autor von Büchern für Erwachsene wie auch für Kinder und Jugendliche, hat sich noch nie vor schwierigen Themen gedrückt. Das ist auch diesmal so, und nicht nur die Warnsätze wie „In dieser Geschichte wird es drei solcher schlimmer Momente geben“ legen den Lesern nahe, mit der Geschichte vorsichtig umzugehen. So vorsichtig wie mit der Handgranate, die auch vorkommt.

          Das Explosive von Drvenkars Roman wiederum liegt sicher darin, so sachlich wie poetisch zugleich über Krieg schreiben zu wollen – und davon, dass am Ende der General türmt, die Politiker sich drücken und die Soldaten tot sind oder ihr Leben lang Angst und Schuldgefühle mit sich tragen. Der allwissende Erzähler, der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft übersieht, weiß auch, dass dieser Krieg ein überörtlicher, überzeitlicher ist, der da erzählt wird. Es könnte jeder Krieg sein.

          Die Toten, die Gefangenen, die Brutalität und der Hunger aber sind in dieser Schilderung sehr konkret. Da helfen die rückversichernden Sätze nicht viel, auch nicht diejenigen, die immer wieder verdeutlichen, dass eine Gedankenreise stattfindet – schwarz auf weiß ist es hart, was da erzählt wird. Beim Lesen wünscht man sich unweigerlich ein anderes Medium für diese Geschichte, einen Film, eine Performance, um das, was die Worte allein nicht vermögen, gestisch und bildlich sichtbar zu machen.

          Insofern ist es nicht erstaunlich, dass Kai zuerst auf der Bühne in den Krieg zog: Das Grips Theater hatte in der Pandemie im März 2021 die Uraufführung des Stoffs als Stream herausgebracht. In der Erzählfassung aber gelingt es bei aller Sorgsamkeit nicht überzeugend, den Schrecken des Krieges im Spielerischen oder in der Poesie zu bergen.

          Zoran Drvenkar: „Kai zieht in den Krieg und kommt mit Opa zurück.“ Roman. Hanser Verlag, München 2023. 160 S., geb., 17,– €. Ab 11 J.

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