Comic von Andreas Steinhöfel : Antisemitismus in der Schule
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Für ihn selbst überraschend plötzlich Jude: Benny Levenberg Bild: Melanie Garanin / Carlsen Verlag
Comics können es anders angehen: Andreas Steinhöfels Fernsehserie „Völlig meschugge?!“ zum Thema Antisemitismus, gezeichnet von Melanie Garanin, geht in die Tiefe.
Dass Andreas Steinhöfel ein begnadeter Erzähler ist, wird seit Jahren in den unterschiedlichsten Medien beglaubigt: mit Büchern natürlich und Hörbüchern, im Kino, auch im Fernsehen, etwa mit der von ihm konzipierten und gemeinsam mit Klaus Döring und Adrian Bickenbach geschriebenen Miniserie „Völlig meschugge?!“, die vor Kurzem im Kika gelaufen ist. Und wie steht es um Comics? Auch da ist Steinhöfel als Autor vertreten, denn Peter Schössows Illustrationen zu seinen „Rico & Oskar“-Kinderromanen haben die Vorlagen zu einigen Comics abgegeben, die allerdings nicht mehr als nur ein weiteres Nebenprodukt der vielfach verwerteten Erfolgsserie waren. Eigens neu geschrieben hatte Steinhöfel sie nicht.
Nun aber gibt es einen Steinhöfel-Comic, der auf den ersten Blick wieder wie Zweitverwertung aussieht, aber viel mehr ist. „Völlig meschugge?!“ bedient sich zwar der Handlung der sechsteiligen Kika-Serie, bietet jedoch einen vertieften Blick auf die labile Freundschaft zwischen Charly, Hamid und Benny, drei Zwölfjährigen aus einer ungenannten Kleinstadt, die sich im Laufe des Geschehens erst entfremden und dann zusammenraufen.
Das klingt nicht ungewöhnlich für dieses Alter, aber Steinhöfel pflegt wie jeder versierte Jugendbuchautor in seinen Geschichten größere Themen zu bearbeiten – man könnte auch sagen: erwachsene. Kinder lesen gerne über ihr Alter hinaus, wollen herausgefordert werden durch Fragen, die sie noch eher instinktiv als aus Lebenserfahrung heraus angehen. Im Falle von „Völlig meschugge?!“ ist es das Phänomen des Antisemitismus. Benny erfährt durch den Tod seines Opas, dass seine Familie jüdisch ist; zuvor war ihm das von den Eltern aus Angst vor Gerede verschwiegen worden.
Bennys unfreiwillig neugewonnene Identität verstört Hamid, der als Kind einer muslimischen Familie mit Vorbehalten gegen Israel aufgewachsen ist, die er nun auf den Freund überträgt. Was wiederum Charly nicht begreifen kann, deren Vermittlungsversuche von beiden Jungen als unerwünschte Einmischung eines Mädchens angesehen werden, die als „normale“ Deutsche keine der beiden Seiten verstehen könne. Und um dieses Zentrum seiner Geschichte hat Steinhöfel ein Netz aus familiären und schulischen Beziehungen gewebt, die alles noch komplizierter machen. Viel Stoff für gerade mal zweieinhalb Stunden Fernsehen. Fast dreihundert Seiten Comic bieten da mehr erzählerische Möglichkeiten.
Und Melanie Garanin als Zeichnerin nutzt sie weidlich. Gerade auch formal. Was sie da anstellt, sieht man in deutschen Comics selten: ständig wechselnde Seitenarchitekturen, metafiktionale Einschübe, ja selbst eine Formatänderung, als sich das Geschehen kurzfristig in ein Höhlensystem verlagert – „Tom Sawyer“ lässt grüßen und wird auch aus dem Comic zurückgegrüßt –, weshalb Garanin plötzlich ihre Bilder um neunzig Grad kippen lässt, damit man das aufgeklappte Buch hochkant lesen und die Tiefe des Abgrunds empfinden kann. Man stelle sich vor, das geschähe auf einem Fernsehbildschirm. Bücher bieten durch solche Handhabbarkeit klare Vorteile.
Zudem knüpft Garanin stilistisch an so wunderbare Vorbilder wie Anke Kuhl oder Mawil an: In Deutschland triumphiert gerade eine spezifisch cartooneske Comicästhetik für Kinder. Aber auch Manga-Kids werden ihren Spaß haben, denn Hamid zeigt als begabter Zeichner sein Innenleben in Mangasequenzen. Dafür hat Garanin den einschlägig kompetenten Kollegen David Füleki als Ko-Zeichner gewonnen: Comic im Comic. Großartig.
Andreas Steinhöfel, Melanie Garanin: „Völlig meschugge?!“ Carlsen Verlag, Hamburg 2022. 288 S., geb., 20,– €. Ab 10 J.