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Thriller von Ursula Poznanski : Wenn ich du wäre, ich würde abhauen

Ursula Poznanski Bild: Sascha Halfmann

Der Tote in der Unterführung, die seltsame Rettung, der unerfüllbare Auftrag, der mächtige Gegner: Ursula Poznanskis neuer Jugendthriller „Layers“ bringt einen Jungen fast um den Verstand.

          3 Min.

          Nico ist Dorians Rettung. Weil er da ist, als der siebzehn Jahre alte Obdachlose von seinem Nachtlager in der Unterführung aufschreckt und einen zusammengekrümmten Menschen vor sich liegen sieht, in einer Blutlache, die sich langsam in seine Richtung ausbreitet. Mittendrin sein aufgeklapptes Taschenmesser. Weil Nico den entsetzten Dorian mit der Bemerkung beruhigt, es sei Notwehr gewesen, auch wenn er sie bei ihrer Wiederholung um eine entscheidende Nuance verändert: „Es war sicher Notwehr.“ Und weil er ihm anbietet, ihn mitzunehmen, schließlich arbeitet Nico für eine Organisation, die Jugendliche von der Straße holt. Und das mitten in der Nacht?

          Ursula Poznanski liest „Layers“ : Bislang war er ohne Stehlen durchgekommen

          Fridtjof Küchemann
          Redakteur im Feuilleton.

          In ihrem neuen Thriller „Layers“ stattet die österreichische Jugendbuchautorin Ursula Poznanski ihren Helden mit genügend Geistesgegenwart aus, um diesen Zufall seltsam zu finden, mit ausreichend Vorsicht, um zu bedenken, dass er sich diesem Nico und seiner Organisation auch ausliefert, wenn er in den dunklen Van steigt, und mit einem guten Schuss Neugier, der die Geschichte voranbringt. In Bornheims Villa werden die Jugendlichen untergebracht, versorgt und – Ethik ist hier Pflichtfach – unterrichtet. Sie bekommen einheitliche Kleidung mit verschiedenfarbigen Oberteilen.

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          Was heißt es, wenn ein Neuling, der mit einem grauen Shirt beginnt, auf einmal ein grünes, dann ein rotes in seinem Schrank findet? Und welcher Sinn steckt hinter den regelmäßigen Einsätzen der Jugendlichen, die an öffentlichen Plätzen irgendwelche Handzettel für gute Zwecke verteilen müssen, sich dabei aber keineswegs vom Platz bewegen dürfen und immer wieder von Leuten auf seltsame Weise angegafft werden? Womit verdient dieser Bornheim eigentlich sein Geld, und was ist in den abgesicherten Gebäuden untergebracht, die hinter dem Hügel am Ende des die Villa umgebenden Parks liegen?

          Auf einmal ist die Stadt voller Hinweise

          Viel ist es zunächst einmal nicht, was Dorian herausbekommt, aber er fällt auf, und seine Aufgabe ändert sich: Jetzt soll er wichtigen Leuten kleine schwarze Kästchen überbringen, unbedingt persönlich und ausschließlich mit dem Satz „Das ist die zweite Lieferung.“ Die Reaktionen sind unterschiedlich, von Begeisterung über Reserviertheit bis zu nackter Angst. „Was hast du ihnen eigentlich getan, dass sie dir so etwas antun wollen?“, raunt ihm der Chef eines Mobilfunkunternehmens zu, „wenn ich du wäre, würde ich abhauen.“ Als er die Polizei rufen will, flieht Dorian. Das Kästchen nimmt er mit. Am vereinbarten Treffpunkt wartet er vergeblich darauf, vom dunklen Lieferwagen wieder eingesammelt zu werden. Schließlich weiß er sich nicht anders zu helfen, als das Kästchen zu öffnen.

          Die Datenbrille, die Dorian darin findet, blendet nicht nur zusätzliche Informationen zu Zuverlässigkeit, Reichtum und Schwächen von Personen ein, zu schmutzigen Geschäften einiger Firmen oder zu Immobilien, die durch eine Notlage ihrer Besitzer weit unter Marktwert zu haben wären. Sie informiert auch über laufende Erpressungsversuche ausbeuterischer Unternehmen und über Konsequenzen, wenn die Unternehmen nicht nachgeben. Sie zählt die Tage bis zu einem ominösen Showdown. Und sie projiziert – eine Augmented-Reality-Petitesse – einen Raben namens Hugo in das Sichtfeld, der dem Brillenträger Rede und Antwort steht.

          Missliche Lage, moralisch komplexe Situation

          „Sie wollen dich töten“, hatte der Mobilfunkchef Dorian noch angeherrscht, und das wollen sie bald tatsächlich. „Darf nicht überleben“ liest er auf einem nur für Brillenträger sichtbaren Steckbrief über sich selbst. Dorian wird gejagt. Er wird mit seiner Freundin, die er unter den anderen Jugendlichen in Bornheims Villa gefunden hat, erpresst. Mit allerlei optischen Täuschungen in Fallen oder gleich in Richtung Wahnsinn getrieben, die den seltsamen Hugo wie ein putziges Maskottchen wirken lassen. Und er nimmt den Kampf auf.

          Er treffe seine Entscheidungen danach, ob aus einer Handlung mehr Gutes oder mehr Schlechtes entstehe, hatte Nico im Ethikunterricht gesagt. Die Opfer, die dieser Geheimbund mit dem Ausstattungsvorteil Datenbrille in Kauf zu nehmen bereit scheint, sind gefährlich groß, auch unabhängig von Dorians misslicher Lage in seiner moralisch komplexen Situation.

          Ein Junge unter Mordverdacht wird zum geförderten Mitwisser, dann zum gejagten Zu-Viel-Wisser. Wie kann er das Risiko, wenn er sich der Polizei stellt, gegen die Gefahren abwägen, wenn er sich seiner Verfolger erwehrt? Oder seinen Erpressern stellt? Und wie weit soll die bekannte Maxime gelten, dass der Zweck die Mittel heiligt? Ursula Poznanski traut ihren jugendlichen Lesern kniffelige Fragen zu, ohne ihnen die Antworten zu servieren. Dass dies keine Zumutung ist, liegt an der Spannung und Finesse ihres Erzählens.

          Ursula Poznanski: „Layers“. Roman. Loewe Verlag, Bindlach 2015. 448 S., br., 14,95 €. Ab 14 J.
          Ursula Poznanski: „Layers“. Roman. Loewe Verlag, Bindlach 2015. 448 S., br., 14,95 €. Ab 14 J. : Bild: Loewe

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