Rambharos Jhas „Wasserwelten“ : Wie aus Volkskunst Weltkunst wird
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Rambharos Jha: „Wasserwelten“. Aus dem Englischen von Eveline Masilamani- Meyer. Baobab Books, Basel 2016. 28 S., br., 42,- €. Ab 6 J. Bild: Baobab Books
Ein indisches Kleinod findet seinen Weg auf den deutschen Bilderbuchmarkt: Rhambaros Jha hat mit „Wasserwelten“ ein gezeichnetes Naturspektakel geschaffen, das durch Poesie und Kommentare aufs schönste ergänzt wird.
Mit diesem Bilderbuch hat es eine besondere Bewandtnis: Es verzaubert nicht nur, es wechselt auch die Gestalt. Je nachdem, in welcher Sprache es daherkommt - in Englisch, Französisch oder nun endlich auch in Deutsch -, hat es einen anderen Inhalt: In der englischen Originalausgabe, 2011 beim indischen Verlag Tara Books erschienen, hat der Zeichner Rambharos Jha seinen wunderbaren Bildern von allerlei Wassergetier jeweils eine Beschreibung dessen beigegeben, was er sich dabei gedacht hat. In der französischen Ausgabe, noch im gleichen Jahr erschienen und wie das Original in Indien als Siebdruckbuch hergestellt, fehlen diese Texte, dafür sind den Bildern dort alte tamilische Gedichte beigegeben, die passend zu den Motiven von der Tara-Books-Mitarbeiterin V. Geetha ausgewählt wurden. Doch nun in der deutschen Fassung, die der Schweizer Baobab-Verlag auch wieder als Siebdruck in Indien hat drucken lassen, versammelt sich alles zum Komplettkunstwerk: Jhas Bilder, seine Erläuterungen dazu und die tamilischen Gedichte.
Aber ist „Wasserwelten“ ein Kinderbuch? Allemal. Denn Jhas Acrylbilder sind großartig und verlockend, und man muss nicht wissen, dass er dafür die traditionellen, mittels Kuhdung angefertigten Volkszeichnungen seiner nordindischen Heimat Mithila zum Vorbild genommen hat, mit denen Frauen an bestimmten Festtagen die Häuserwände schmücken. Was sofort begeistert, ist die Unmittelbarkeit dieser Bilder, die grafische Klarheit ihrer Linien bei grandiosem Farbflächenspiel. Gemeinsam entsteht so die Anmutung eines Blicks auf eine schillernde Wasserfläche. Und dazu kommen die Kommentare des Künstlers, die in einem Erzählton gehalten sind, der kindgerecht und präzise zugleich über die Bilder spricht, etwa zum oben abgebildeten Kraken: „Meine Striche passen sich den Bewegungen an und fließen in verschiedene Richtungen. Sie wölben und winden sich und ziehen sich in die Ferne. Wir sehen den Kraken an einem reich gedeckten Tisch: eine Venusmuschel, ein Seestern, Jakobsmuscheln und Seeigel. Vermutlich hält er noch viele andere Dinge fest, bevor er sie sich ins Maul stopft.“
Sprach- und Bildgefühl gleichermaßen befeuert
Was den französischen Verlag bewogen haben mag, diese anschaulichen Begleittexte, die hervorragend dazu taugen, Verständnis für künstlerische Entscheidungen zu wecken, zugunsten der tamilischen Gedichte auszutauschen, ist rätselhaft. Zumal deren Herkunft jener südöstliche Teil Indiens ist, in dem der Verlag beheimatet ist, nicht aber Rambharos Jha. Etliche der Verse passen nur assoziativ zu den Bildern. Aber es sind dennoch herrlich zu lesende Ausschnitte aus bis zu zweitausend Jahre alten Poesiesammlungen, die in Deutschland völlig unbekannt sind. Die Übersetzerin Eveline Masilamani-Meyer hat sich, anders als ihre französische Kollegin, nicht nur der englischen Übersetzungen dieser Gedichte als Vorlagen bedient, sondern auch die tamilischen Originale herangezogen. Dadurch ist der Ton bisweilen umständlicher geworden als in der aphoristisch zugespitzten französischen Version, aber das Tänzerische dieser Naturpoesie kommt schön zur Geltung: „Regen prasselt, lauter Donner, / alle Wege sind verschwommen. / In tiefen Gräben lärmen gestreifte Frösche, / als spielten sie Trommeln zum Tanz.“
Wer Sprach- und Bildgefühl gleichermaßen befeuern möchte, ist mit „Wasserwelten“ goldrichtig. Es ist zudem ein Buchkunstwerk, dem man seine Qualität nicht nur ansieht und abliest, sondern auch anriecht und anfühlt. Durch die Herstellung auch der Übersetzungen in jener indischen Werkstatt, aus der das Original stammt, wird konkrete Wirtschaftshilfe geleistet. Nur eines fehlt zum vollkommenen Glück der deutschen Ausgabe: die Namen der tamilischen Dichter, die in der französischen Fassung alle genannt wurden. Hören Sie nur: Vadama Vanakkan Perisaathanar, Orampokiyar oder Nambi Kuttuvanar - Letzterem verdanken wir das Gedicht zum Kraken, das oben zu lesen ist.