Bilderbuch von John Hare : Oma Bertha ist doch kein Frühstückshappen
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Frische Fische fischen verboten: John Hares Geierschildkröte ist aus guten Gründen der Meinung, dass hier keiner keinen verspeisen sollte. Bild: Moritz Verlag
Erst kommt die Moral, dann das Fressen: John Hare zeigt in seinem Bilderbuch „Alfonso geht angeln“, warum eine ziemlich hungrige Geierschildkröte freiwillig auf fette Beute verzichtet.
Schildkröten sind niedlich und sympathisch. Weiß ja jeder. Alligatoren hingegen sind gruselig und cool, aber null sympathisch. Bis hierhin alles ganz einfach. Nun kommen die Alligatorschildkröten ins Spiel – und die Dinge werden kompliziert. Nicht nur weil die Sache mit den Sympathiepunkten neu ausgehandelt werden muss, sondern auch weil es sich gleich um eine ganze Familie mit mehreren Arten in zwei Gattungen handelt. Und die wiederum heißen Schnappschildkröten und, der Name lässt nichts Gutes ahnen, Geierschildkröten.
Ausgerechnet eine Geierschildkröte spielt in John Hares neuem Buch die Hauptrolle. Nachdem der Illustrator zuletzt auf anrührende Weise den Mond, den Ozean und eine Vulkaninsel erkundet hat, geht’s nun ab in den Teich. Alfonso, so heißt unser Protagonist, hat einen Look der Kategorie „Kannste dir nicht ausdenken“: massiver Panzer, spitze Höcker, Quadratschädel, hakenförmiges Maul. Die Augen sind seitwärts gerichtet, können jedoch auch, und dann wird’s unheimlich, geradeaus stieren. Auf Alfonsos Rückenschild wuchern jede Menge Pflanzen, sodass er am Boden eines Gewässers sogar aufmerksamen Beobachtern entgeht. Da hält er sich auf, wenn er hungrig ist. Und Lust auf einen Imbiss hat so ein achtzig Kilo schwerer Brocken ziemlich oft.
Geierschildkröten fressen eigentlich alles, was man sich denken kann, Alfonso hat es jedoch speziell auf Fische abgesehen. Seine Jagdtechnik ist ideal für Faulpelze. Er legt sich hin und öffnet sein riesiges Maul. Das Ganze sieht ein bisschen so aus, als warte er auf den Zahnarzt, der sich allerdings wundern würde, denn Alfonso muss ohne Gebiss über die Runden kommen. Jedenfalls zuckt er mit seinem Zungenfortsatz, der so anmutet wie ein sich windendes Würmchen. Das lockt potentielle Beute an, die darin nur einen leckeren Snack sieht.
Zunächst findet sich eine Elritze ein, die jedoch bald – Sensationsfunde muss man teilen – zwei Kumpels anschleppt. Zu dritt kommen die Fische auf die Idee, dass es doch am besten wäre, gleich dem ganzen Schwarm Bescheid zu geben, wobei es, wie sich bald herausstellt, am allerbesten wäre, auch noch Oma Bertha zu holen, denn sie hat heute Geburtstag. Und die sagt, als alle in Alfonsos Maul versammelt sind: „Ach, wie schön! Ich freue mich so, dass ich heute alle meine Kinder und Enkelkinder um mich habe.“ Schon vergeht der gefräßigen, aber offenbar einfühlsamen Geierschildkröte der Appetit. Alfonso zieht seinen Zungenwurmfortsatz wieder ein, guckt traurig aus der Wäsche und beschließt, aufs Frühstück zu verzichten.
Dann aber entdecken die Elritzen einen echten Wurm am Angelhaken, und Alfonso bekommt die Möglichkeit vom Fressfeind zum Lebensretter, vom geduldigen Jäger zum ungestümen Altruisten aufzusteigen. Plötzlich erscheint Hares bis dahin fies illustrierte Geierschildkröte wunderbar sympathisch und im besten Sinne uncool. Zeuge der entzückenden Geschichte ist übrigens ein kleiner blauer Flusskrebs, der eine wichtige Lektion gelernt hat: Erst kommt die Moral, dann das Fressen.
John Hare: „Alfonso geht angeln“. Aus dem Englischen von Bettina Münch. Moritz Verlag, Frankfurt am Main 2023. 48 S., Abb., geb., 15,– €. Ab 4 J.