Janne Tellers Jugendbuch „Krieg“ : Gestohlene Jahre
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Bild: Hanser
Auch wenn die Flucht gelingt, gibt es kein Zurück: In Janne Tellers „Krieg“ schlüpft der Leser in die Haut eines Jugendlichen, der den Krieg mit allen zerstörerischen Begleiterscheinungen erlebt.
„Stell dir vor, er wäre hier“, so lautet der Untertitel des schmalen Bandes, der aussieht wie ein Reisepass und auch so in der Hand liegt. Da, wo sonst das Herkunftsland des Inhabers steht, liest man hier das eine Wort „Krieg“, und er ist es, auf den der Untertitel verweist. Der Krieg, so mag man sich das deuten, überlagert alles, was ein Land sonst ausmacht. Und Janne Teller, die Autorin des so kalten wie furiosen Jugendbuchs „Nichts“, die „Krieg“ im dänischen Original bereits 2004 publizierte, hat für die jetzt erschienene deutsche Ausgabe Teile des Buchs auf unsere Verhältnisse umgeschrieben. Deutschland, so die Prämisse, gerät in Streit mit seinen Nachbarländern und in ein ausgesprochen nationalistisches Fahrwasser: Aus dem weltoffenen Land, in dem die jugendliche Hauptperson aufgewachsen ist, wurde ein fremdenfeindlicher Staat, in dem eine ominöse „Gleichschaltungspolizei“ immer mächtiger wird. Dann bricht der Krieg mit Frankreich aus.
Tellers Gedankenspiel hat auch eine ästhetische Prämisse: Der Text ist in der zweiten Person Singular geschrieben, der Leser wird also fortwährend angesprochen und schlüpft so völlig in die Haut jenes deutschen Jugendlichen, der den Krieg mit allen zerstörerischen Begleiterscheinungen erlebt und dem dann mit der Familie die teure und illegale Flucht nach Ägypten gelingt. Es geht Teller also um die Empathie ihrer Leser mit Kriegsflüchtlingen, und die Vorstellungen, die sie wachrufen möchte, vollziehen das Wechselbad mit, dem diese Migranten ausgesetzt sind. Da keimt eine Erfolgsgeschichte auf - immerhin kann man ja fliehen, was anderen nicht gelingt, und man bleibt als Familie sogar einigermaßen zusammen.
Keine andere Wahl
Auf der anderen Seite - dies vor allem bildet Janne Teller kühl und eindringlich ab - steht der Verlust der Illusion, man könne je wieder anknüpfen an das, was vor dem Krieg und vor der Flucht gewesen ist.
„Wenn bei uns Krieg wäre. Wohin würdest du gehen?“, fragt Teller anfangs, um wenig später zu schildern, dass sich diese Frage als allerletzte stellt. Man geht nicht, wohin man will, sondern wohin man überhaupt noch kann. Und wenn der Vater „eurer Familie eine Zukunft bieten“ will, wenn er glaubt, dass man „eines Tages wieder nach Hause gehen“ wird, dann wirkt sich die Selbsttäuschung auf alle weiteren Pläne aus. Viele Jahre später heißt es nur: „Das Geld reicht nie, um deine verlorene Ausbildung nachholen zu können. Du hast auch keine Lust mehr zu studieren. Dir ist peinlich bewusst, dass du weit hinter Gleichaltrigen zurück bist.“ Spätestens hier merkt man, wessen Rolle man als Leser dieses Buches für ein paar Seiten eingenommen hat.