Weltgeschichte für junge Leser : Unser aller Teppich weben wir heute
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Ewald Frie: „Die Geschichte der Welt“. Mit Bildern von Sophia Martineck. Verlag C. H. Beck, München 2017. 464 S., geb., 28,– Euro. Ab 14 J. Bild: C. H. Beck
Es geht auch global: Ewald Frie traut sich zu, die Weltgeschichte neu zu erzählen – wenn auch nicht unbedingt für ganz junge Leser.
Zwölf Herren mit Hut, in Anzügen, als stammten sie direkt aus den dreißiger Jahren, rudern ihre Beiboote auf ein polynesisches Dorf zu. Das Segelschiff in ihrem Rücken, flache Form, drei Fenster am Heck, blaue Farbe, ist aber unzweifelhaft die „Endeavour“, Baujahr 1764. Die merkwürdige Zeitenmischung in Sophia Martinecks erster von vielen doppelseitigen Illustrationen hat einen tieferen Sinn. Es ist ein kluger Griff, eine Weltgeschichte, die anders erzählen will, mit James Cook zu beginnen, der, „die Welt entdeckt“, wie es heißt. Raum und Zeit, naturwissenschaftliche Methoden und Kulturanthropologie treffen in diesem Entdecken zusammen – bis zu jenen kulturellen Missverständnissen und Fehlinterpretationen, die schließlich zum Tod Cooks führten.

Kulturredakteurin in der Rhein-Main-Zeitung.
Ewald Frie will die Weltgeschichte neu erzählen, anders und für Junge. Er ist nicht der Einzige: Fast scheint es, als provoziere die Globalisierung im Gespann mit immer fragmentierterem Wissen das Bedürfnis nach solchen Überblicken. Vor knapp zehn Jahren ist Ernst Gombrichs „Kurze Weltgeschichte für junge Leser“ wieder erschienen, dem haben vor kurzem Ute Daenschel und Kerstin Lücker eine „Weltgeschichte für junge Leserinnen“ aus weiblicher und multikultureller Perspektive entgegenzusetzen versucht.
Neu heißt bei Frie: nicht Weltgeschichte als Wettkampf der Besten zu erzählen und auch nicht, zumindest soweit es möglich ist, nur aus der westlichen, europäischen Sicht. Dass Frie, wie er in seinem Nachwort zugibt, zunächst fast verzweifelte an seiner Aufgabe, nimmt man ihm ab. Letztlich war es der Sonderforschungsbereich „Bedrohte Ordnungen“ an der Tübinger Universität, der mit seinen Kontakten über die Fächergrenzen hinaus seinem Sprecher Frie, dem „Zirkusdirektor beeindruckender Geistesartisten“, zum Bild verhalf, mit dem er fruchtbar arbeitet: Geschichte als einen Teppich zu betrachten, an dem alle weben. Ohne unterschiedliche Perspektiven erschließt sich das Teppichmuster nicht, auch nicht die losen Enden, Löcher und Risse.
Kein Jugendbuch im engeren Sinne
Wie es dazu kam, dass die Europäer sich gewissermaßen als Sonne im System der Geschichte zu begreifen konnten, erläutert der Tübinger Professor für Neuere Geschichte auf den ersten der knapp 500 Seiten. Danach aber geht es, mit Martinecks Illustrationen und Vignetten, gestützt von Peter Palms Karten und Graphiken, in weiten Bögen über den Globus, erst nach Afrika: „Wir sind also alle Afrikaner“, schreibt Frie etwa und fächert die Entwicklungsgeschichte des Homo sapiens auf, die „Eroberung der Erde“ und die parallel existierenden Vorfahren des modernen Menschen, die „sprachlich und künstlerisch“ unterschiedlich ausgestattet waren. Wo Forscherdisziplinen streiten, verbindet Frie gewissermaßen leichtfüßig oder -händig jüngste Entdeckungen zu einem Panorama, das ohne Teleologie die Zukunft im Blick hat.
Wobei die Sache mit der Wiege der Menschheit gar nicht so viel Raum einnimmt, verglichen mit den Aha-Erlebnissen, die später folgen, wenn Frie das versunkene Kilwa mit seinen Schönheiten vorstellt, die Reiche Afrikas und das, was mit ihnen geschah. Denn von einer gewissen Chronologie nimmt auch diese Weltgeschichte keinen Abstand, bis zum Kapitel „Babylon“ werden etwa die Ausbreitung des Menschen seine Sesshaftigkeit, Schrift und andere kulturelle Grundlagen eingeführt. Vom Transport der Ideen und Religionen im frühen China und Indien über Byzanz, wo fast nebenbei das Imperium Romanum vorkommt, zu den Maya und nach Nordamerika, von der Russischen Revolution bis zu den heutigen Megacitys am Beispiel Kairo und von dort auch zu Islam und Moderne reicht der Bogen in Raum und Zeit.
Frie schreibt schlicht, ab und an mit einem Hauch Umgangssprache, etwa wenn er von den „Fightern“ unter den Mogul-Söhnen schreibt. Er vermeidet allzu lange Sätze und fachspezifische Begriffe und streut Zitate ein, die dem Fluss des Textes weiterhelfen und wie nebenbei noch den ein oder anderen Philosophen oder Autor einführen. Ein Jugendbuch im engeren Sinne ist Fries „Geschichte der Welt“ nicht geworden. Eine „jüngere Leserschaft“, so die Zielgruppe, ob sie jung an Jahren ist oder sich einfach neu mit der Weltgeschichte beschäftigen will, wird lange Freude an diesem Teppich haben – und Anregung, ihn auch mal auf links zu drehen.