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Daniel Handlers neuer Jugendroman : 43 Gründe, warum Sie dieses Buch lesen sollten

Memorabilie einer Liebe: „Das Ding von der Handtuchstange“ Bild: Hanser Verlag

Unter dem Pseudonym Lemony Snicket hat der Amerikaner Daniel Handler Millionen begeistert. Jetzt hat er den Roman „43 Gründe, warum es aus ist“ geschrieben, der zu den besten Jugendbüchern der letzten Jahre gehört.

          5 Min.

          Noch ein paar Minuten, dann wird ein Karton vor Eds Tür landen. „Entweder du fühlst es oder du fühlst es nicht“ steht auf dem Deckel, ein Lieblingssatz der sechzehnjährigen Min, die zwei Monate mit Ed zusammen war und ihm nun diese Kiste schickt. Ihr Inhalt: Kronkorken (das erste gemeinsame Bier), Kinokarten (der erste Kuss), eine Pappkamera (Eds Geschenk für Min), ein Küchenhandtuch (als Min Eds Schwester Joan kennenlernte und sogar von ihr gemocht wurde), getrocknete Rosenblätter (aus dem Blumenladen, als alles herauskam), Spielzeug, Fotos, Baumsamen, ein Zuckerstreuer und dergleichen mehr. Weil Min sich aber nicht darauf verlassen mag, dass Ed „es fühlt“, schreibt sie ihm unterwegs einen langen Brief. Jedes Ding im Karton erhält darin seinen Platz in der Liebesgeschichte, die nun vorüber ist. Sie sind die Essenz, die der Brief Stück für Stück erklärt. Zusammen bilden sie eines der schönsten Jugendbücher seit langer Zeit.

          Tilman Spreckelsen
          Redakteur im Feuilleton.

          Es heißt „43 Gründe, warum es aus ist“, erscheint in deutscher Übersetzung bei Hanser, und es stammt von dem Autor Daniel Handler und der Künstlerin Maira Kalman. Die New Yorker Illustratorin hat jeden Gegenstand aus Mins Kiste mit filigranem Pinselstrich und beherzter Farbgebung gemalt. Das Buch ist nicht die einzige Zusammenarbeit der beiden; auf Youtube gibt es etwa einen Clip, in dem der Autor gemeinsam mit Kalman in privater Atmosphäre ein skurriles Loblied auf Bibliotheken singt.

          Doppelter Boden und ständige Trugschlüsse

          Handlers von der Kritik gefeierte Kinder- und Jugendbücher erzielten in den Vereinigten Staaten zweistellige Millionenauflagen, während alle Versuche, sie bei uns zu etablieren, bislang wenig fruchteten. Berühmt wurde er unter dem Pseudonym „Lemony Snicket“ mit einer dreizehnteiligen Buchreihe um die Waisenkinder Violet, Klaus und Sunny Baudelaire, die nach dem Feuertod ihrer Eltern von dem ewig hustenden Anwalt Poe bei wechselnden Pflegeeltern untergebracht werden. Die Kinder landen in der „Schule des Schreckens“, am Ufer des „Seufzersees“, im „Schaurigen Spital“ oder „Haarsträubenden Hotel“, immer verfolgt von ihrem Onkel „Graf Olaf“, der die Geschwister um die Ecke bringen und sie beerben will.

          Der 1970 geborene Daniel Handler, dessen jüdischer Vater als Kind aus Deutschland fliehen musste, und seine spätere Frau, eine Opernsängerin, infolge eines Wirbelsturms kennenlernte, weswegen sich der Autor einmal als „Produkt zweier Katastrophen“ bezeichnete, spielt als Lemony Snicket virtuos mit der operettenhaften Szenerie und spickt seine äußerst fesselnde Handlung mit Verweisen auf das Bühnengeschehen im neunzehnten und zwanzigsten Jahrhundert - nicht zufällig sind die besten Freunde der Baudelaire-Waisen das Zwillingspaar „Isadora“ und „Duncan“. Dass es hier nicht mit rechten Dingen zugeht, erschließt sich jungen Lesern sofort, und man muss die Anspielungen im Einzelnen gar nicht verstehen, um den doppelten Boden zu ahnen und die ständigen Trugschlüsse zu genießen.

          Man könnte auch sagen: Daniel Handlers Bücher sind eine Schule des Lesens. In der mancherorts gern als „unterkomplex“ verschrienen Kinder- und Jugendliteratur zeigen sie, was artistisch möglich ist, wenn sich ein Autor nur traut. Wenn er es vermeidet, die immergleichen Klischees zu bedienen oder sein Sujet von vornherein dort anzusiedeln, wo es fünfzig andere Jugendbuchautoren auch gerade tun. Wenn er seine Leser mit einer Sprache verschont, die gegenwärtig sein will und gerade deshalb besonders rasch altert. Wenn er registriert, wie er rezipiert wird, ohne sein Schreiben danach auszurichten. Kurz: wenn er eben nicht seine Ansprüche herunterschraubt, um auf vermeintliche Bedürfnisse einer jungen Leserschaft zu reagieren, sondern sie im Gegenteil dazu herausfordert, an einem Text zu wachsen, ohne sie dabei durch pädagogischen Eifer zu verprellen.

          Das gilt besonders für Handlers Liebesgeschichte von Min und Ed, für „43 Gründe, warum es aus ist“, im Original: „Why We Broke Up“. Denn so rasch die Erzählerin unsere Herzen gewinnt, so beredt sie anhand der Objekte ihre Geschichte erzählt und dabei ein Bild der Gegensätze malt (hier der Mädchenschwarm und Basketballstar der Schulmannschaft, dort die Cineastin mit dem feinsinnigen Freundeskreis) - so klug und großartig dieses Mädchen auch ist, so sehr lehrt Handler uns auch, vor ihr auf der Hut zu sein.

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