Hörspiel und Wortkunstzauber : Das lispelnde Hermelin
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Nora Gomringer rezitiert auch Gedichte ihres Vaters Eugen Gomringer Bild: Tobias Schmitt
Die Bachmannpreisträgerin Nora Gomringer war schon immer sehr dreidimensional – Wort, Sound, Bild – und dabei sehr Tarantino. Jetzt bringt sie mit Philipp Scholz im Hörspiel „Peng Peng Peng“ Lyrik und Jazz zusammen.
„Peng! Du bist tot.“ Das klingt nach diesem alten Nancy-Sinatra-Song: „Bang bang ... my baby shot me down.“ Was wird hier gespielt, Bonnie & Clyde? Nein, Gomringer & Scholz! Ein fulminantes Duo, das zu Tarantinos Film „Kill Bill“ so gut passen würde wie zum Song. Womit wir im Kino gelandet wären, dabei geht es hier vorgeblich um den jüngsten Streich der Lyrikerin und Bachmannpreisträgerin Nora Gomringer. Aber die war schon immer sehr dreidimensional - Wort, Sound, Bild - und dabei sehr Tarantino, mit einer Gänsehaut verursachenden Balance zwischen explosiver Geste und zarter Verletzlichkeit, vollendeter Form und groteskem Trash, pointierter Aussage und sexy Ästhetik.
Dialog von Text und Musik
Und die Musik dazu ist nicht bloß Begleitung, sondern Dialog: mal Einspruch, mal Kommentar, mal Motor des Versrhythmus. Sie kommt von dem Leipziger Jazzschlagzeuger Philipp Scholz, mit dem Gomringer einen Partner für diesen Wortzauber gefunden hat, der ihren schon immer so klanghaften Texten ungeahnte Noten entlockt. Gemeinsam touren sie derzeit durch Deutschland. Nora Gomringer führt ihre Sprache wie Uma Thurman das rasiermesserscharfe Schwert in „Kill Bill“. Gerächt wird bei „Gomringer & Scholz“ nicht ganz so blutig, dafür mit Wort und Klang, die sich mit ihrem Tanz auf Zunge und Becken behaupten gegen den Abstieg ins Beliebige. Lautleiser Widerstand pengt an gegen polternde Obszönität.
Dabei beginnt alles ganz leise. „Wie soll ich das beschreiben?“, fragt die Dichterin mit singendem „Wie“, und sogleich lassen uns Dichterin und Drummer den Klang hinter den Worten hören und mit den Sinnen begreifen, warum Wort und Mensch ein Universum en miniature sind, wie es am Ende heißt.
Ein Wort, das ist ein Igel, sagt Gomringer, mit Stacheln und einem weichen Bauch. Ein Bild, das den Bass des Programms vorgibt. Diese Gedichte hören ist wie am Rand eines dunklen Abgrunds stehen, auf den die Sonne scheint. Wie auf das vermeintliche Idyll der Kindheit oder der Heimat, von dem Gedichte wie „Vielmals“ oder „Tobias“ erzählen, die so weh tun, dass man vielleicht lieber nicht applaudieren wollte, wenn sie verklungen sind.
Zum Wandern verdonnert
Man kann nicht anders als aufmerksam hinlauschen, auch beim längsten Hörstück auf der CD, „Gang mit Hermelin“: Die Dichterin wird in Leukerbad zum Wandern verdonnert, und was als forcierter Aufstieg in neuen Wanderschuhen beginnt, mündet in einen therapeutischen Dialog mit einem allerliebst lispelnden, also des Sprechens fähigen Hermelin. Der/die/das Hermelin, dem die Zwangswandernde so unverhofft in den Schweizer Bergen begegnet, blickt tief in die Seele der Dichterin. Und daraus wird ein so spannendes wie berührendes Wanderlied. Ein Lied mit Regieanweisungen. Denn anders als bei den anderen siebzehn Gedichtverlautungen wird das Zutun des Jazzdrummers Scholz minimalistisch gezähmt. Gomringer unterbricht und fordert: „Ich bitte den Spieler um ein C, ein Gis und ein H.“ Die Töne kommen, und die Dichterin fährt fort.
Von wegen zähmen. Das zarte, weiße Hermelin widersetzt sich den Begehrlichkeiten des Jagdinstinkts mit spitzen Zähnen und scharf lispelnder Zunge. Wenn wir diesen spitzen, kleinen Zähnen am Ende des Lieds noch einmal begegnen, hat sich die Wanderballade zu einer grinsenden Verschwörung der Frauen gewendet, die sich so schnell nicht erlegen lassen vom Gewehr des Jägers.
Die scharfen Waffen der Frauen
Womit wir wieder beim „Peng“ wären und bei den starken Frauen mit den scharfen Waffen. Frauen wie Dorothy Parker, die im Gomringer / Scholzschen Kanon glücklich und wenig überraschend drauflosschießt: „If I had a shiny gun, / I could have a world of fun / Speeding bullets through the brains / Of the folk who give me pains.“
Es wird noch besser: Denn der Text wird von Nora Gomringer gesungen. Leider, muss man sagen, als einziger in Gänze, denn wer ihre klingenden Lesungen kennt, weiß es schon: Diese Frau kann singen. Auch den selbstkomponierten, knapp einminütigen Jazzsong nach Parkers „Frustration“. Alle Arrangements bis auf eines stammen von Philipp Scholz, das zu „Schlaflied für die Sehnsucht“ von Meerbaum-Eisinger stammt von Nora Gomringer. Die Arrangements sind passgenau. Auch Heinrich Heine wird hier nicht zum ersten Mal vertont oder verjazzt, aber so fetzig klang er noch nie. Der preisgekrönte Jazzmusiker spielt so wenig nur Schlagzeug wie Gomringer nur liest: „Peng Peng Peng“ ist eindeutig Hörspiel und keine Lesung mit Musik.
Geschichte in achtzehn Kapiteln
Es erzählt eine Geschichte in achtzehn Gedichten, vom Sound des Systems und seinen Fehlern. Mittendrin zitiert Nora Gomringer auch den Vater Eugen Gomringer, mit einem seiner schulbuchbekannten konkreten Gedichte, „Kein Fehler im System“. Kann man diese Buchstabenverdrehungen laut lesen? Nora Gomringer kann und spuckt den Zeile für Zeile angerichteten Wortsalat in aller Deutschlichkeit aus. Scholz’ Beat spiegelt jede Buchstabenverrückung exakt mit rhythmusgestörter Akzentverdrehung. Das ist allerfeinste Wortmusik, die sich grundlegend von dem unterscheidet, was man bislang als Lyrik & Jazz-Einspielungen kennt. Das Duo hat black power im besten sinnlichen Sinn. Dazu Hund, Hermelin, Heine und viele störrische Frauen - kann man noch schöner mit den Mitteln von Jazz und Poesie am aktuellen Zustand der Gesellschaft rütteln?
Nora Gomringer und Philipp Scholz: „Peng Peng Peng“. Verlag Voland & Quist, Dresden 2017. 1 CD, 59 Min, 15,- €.