Neuer Juli Zeh-Roman : Kampf auf hart gefrorenem Boden
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Die Schriftstellerin Juli Zeh Bild: Urban Zintel/Laif
Juli Zeh hat ihren neuen Roman „Zwischen Welten“ mit einem Co-Autor geschrieben: Simon Urban. Die Gesellschaft, sagen sie, polarisiert sich mehr und mehr – und lassen kein Reizthema aus.
Juli Zeh hat ihren gerade erschienenen Roman, nach „Unterleuten“ und „Über Menschen“ heißt dieser „Zwischen Welten“, nicht allein geschrieben. Co-Autor ist Simon Urban, Schriftsteller, Werbetexter und Journalist; „Plan D“ und „Wie alles begann und wer dabei umkam“ heißen seine bekanntesten Romane. Und auch wenn beim Lesen nicht klar ist, wer von beiden was geschrieben hat, ob sie die Perspektiven wie Rollen verteilt oder sie sich geteilt haben, ist im Roman, in maximal übersichtlicher Gegenüberstellung und einer Art Versuchsanordnung, alles dualistisch angelegt.
Grundannahme von „Zwischen Welten“ ist die Spaltung der Gesellschaft, eine Gespaltenheit nicht in viele verschiedene widerstreitende Lebenseinstellungen und -entwürfe, sondern in genau zwei diametral entgegengesetzte Positionen. Verkörpert werden die durch zwei Figuren: Theresa Kallis, 43 Jahre alt, die den Hof ihres Vaters in Brandenburg übernommen hat, heute dort Vorstand der Kuh & Co. Schütte e. G. ist, verheiratet, zwei Kinder. Und Stefan Jordan, 46 Jahre alt, Beziehungsstatus ledig, Single, keine Kinder, Kulturchef bei der großen Hamburger Wochenzeitung „Bote“ – die im Roman abwechselnd Züge des „Stern“ und der „Zeit“ trägt. Im Grunde liest sich das ganze Buch wie ein XXL-„Streit“-Ressort der „Zeit“, in dieser Bezugnahme aber ohne Ironie, immer ernst, auch wenn es der Kulturchef gelegentlich mit etwas mühsam humorigen Sprüchen versucht. Zur Frage, ob er Tiere habe, sagt er: „Heute einen Kater.“
Er gendert – sie nicht
Stefan und Theresa haben vor zwanzig Jahren zusammen Germanistik studiert und waren ziemlich beste Freunde, bis Theresa das Studium abbrach, um den Hof zu übernehmen. Nun – der Roman beginnt am 5. Januar 2022 – haben sie sich zufällig wiedergetroffen und sich in Hamburg auf einer „hartgefrorenen Wiese“ an der Außenalster furchtbar gestritten, nachdem sie sich vorher im Freien betrunken haben. „Lass es uns besser machen, per E-Mail“, schreibt daraufhin Theresa an Stefan. Sie beginnen einen E-Mail- und Whatsapp-Austausch, aus dem der Roman besteht und in dem Juli Zeh und Simon Urban den hart gefrorenen Boden sämtlicher sogenannter Reizthemen der gegenwärtigen gesellschaftlichen Diskurse abgegrast haben, immer mit klarer Gegenüberstellung.
Er gendert und schreibt mit Sternchen, sie sagt, damit treibe er die „Polarisierung der Gesellschaft“ voran. Er nimmt selbstredend an den Gesprächen der „Jungen“ über „Critical Race Theory, intersektionalen Feminismus, Klimawandel, White Supremacy und Bekämpfung der AfD“ teil; sie findet das „alles ziemlich pipifax“, beschwert sich, dass sie seine Begriffe zum Teil erst mal googeln muss, und meint: „Oftmals erscheint mir das viel gepriesene Engagement eurer großstädtischen jungen Eliten bloß als eine besonders larmoyante Form von Narzissmus.“ Er plant beim „Boten“ eine ganze Klimaausgabe im Zeichen des Aktivismus; sie fragt, wie die vierte Gewalt die Kontrolle der anderen ausüben will, wenn sie selbst eine Agenda hat. Er setzt die „Klima-Ausgabe“ um, die so erfolgreich ist, dass die Zeitungsverlegerin von noch mehr Aktivisten-Journalismus träumt; sie kämpft um ihren Biohof und will nicht komplett auf Biogas und Mais setzen.
„Schriftliche Konfrontationstherapie“ nennen sie ihren Austausch, die „TS Methode“. Nur gibt es im ganzen Roman nichts, was an unversöhnlichen Positionen nicht schon bekannt wäre. Seitenlang wird hier alles als Fließtext anstatt in einer Tabelle gegenübergestellt, als Manifest, Ausdruck und gleichzeitige Festschreibung der nach Zeh und Urban komplett polarisierten Gesellschaft. Sie driftet in den Ökoaktivismus rechter Verschwörungstheoretiker ab (sie füllen Gülle in Dosen ab und schleusen sie in die Supermärkte ein), er übernimmt zusammen mit einer schwarzen Aktivistin als Doppelspitze die Chefredaktion der Zeitung. Irgendwann ist der Dialog nicht mehr möglich: „Mail delivery failed: returning message to sender“.
Über Experimente sagt man, dass sie ein Eigenleben haben, und dasselbe gilt auch für die Literatur, in der durch erzählerische Anordnungen Synergien entstehen, Dinge außer Kontrolle geraten, unvorhergesehene Ereignisse Grenzüberschreitungen möglich machen. Und zwar die der Sprache, der Gedankenwelt, der Zeit. Hier aber ist alles Schema, Festschreibung und Bestätigung dessen, was an ideologischen Formationen gerade so kursiert. Und immer mit der Behauptung, dass es nur zwei Welten gebe, zwischen denen gegenwärtig alles sich abspielt. Tatsächlich gibt es – gerade darin besteht nicht nur die Herausforderung, sondern auch das Potential unserer politischen Möglichkeiten – sehr viele Welten. Wenn es besser läuft, auch in der Literatur.