Wolf Haas: Verteidigung der Missionarsstellung : The Blick from the Bridge
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Er macht uns alle zu Linguisten: In seinem Roman „Verteidigung der Missionarstellung“ betreibt Wolf Haas betreibt Feldforschung zu Liebe und Sprache.
Wenn er Frauen trifft, hat Benjamin Lee Baumgartner ein Problem. Denn er will sie zwar kennenlernen, ihren Namen aber nicht erfahren. „Wenn ich den Namen von einem Menschen weiß“, erklärt er das Phänomen der hübschen Burger-Verkäuferin auf dem Londoner Greenwich Market, „dann ist der Zauber schon zerstört.“ Die Sache mit den Namen ist dabei nicht das einzige Dilemma, das den ganz und gar unheroischen Helden im neuen Roman von Wolf Haas umtreibt. Aufgewachsen in den Siebzigern in der bayerischen Provinz als Sohn einer Hippiefrau, ist ihm von seinem Vater, angeblich einem Hopi-Indianer, nichts geblieben als ein Silberring. Und den tauscht er nun gegen ein paar Pfund ein, um der jungen Frau, die er gerade kennengelernt hat und deren Namen er nicht wissen will, einen Drink zu spendieren.
Wolf Haas, der mit seinen subversiven Krimis um den Salzburger Privatdetektiv Simon Brenner berühmt wurde, schrieb 2006 den preisgekrönten Dialogroman „Das Wetter vor fünfzehn Jahren“. Darin unterhalten sich ein Autor, „Wolf Haas“ genannt, und eine Journalistin namens „Literaturbeilage“ über das jüngste Werk dieses Autors, wobei der Leser dabei nicht nur eine wetterfühlige Liebesgeschichte erzählt bekommt, sondern auch die Skizzen, die der Autor verworfen hat. An diesen Heidenspaß knüpft „Die Verteidigung der Missionarsstellung“ an. Auch der neue Roman von Wolf Haas erweist sich als Metafiktion mit anarchischem Witz.
Die Gemachtheit der Sprache
Denn auch Benjamin Lee Baumgartners Geschichte, die 1988 in London einsetzt und über Simbach, Linz und Peking bis nach Santa Fe und New Mexico führt, wird nicht nur einfach erzählt. Statt dessen erfahren wir in den für Haas typischen Ellipsen, was alles auch hätte gesagt werden können, wenn es denn gesagt worden wäre: „Eigentlich bin ich Vegetarier. Ich hab mir diesen Beefburger überhaupt nur gekauft, um mit dir ins Gespräch zu kommen, hätte er fast gesagt.“ Der für Akzente und Dialekte, für S-Fehler, R-Fehler, Heiserkeit und Holländisch so empfängliche Sprachstudent hat allerdings noch ein ganz anderes Problem. Denn immer, wenn er sich verliebt, bricht irgendwo in seiner Nähe eine Tierseuche aus. Oder verhält es sich umgekehrt? Das erste Mal, als er sich in England verliebt, ist es der Rinderwahnsinn. Das zweite Mal, gerade hält er sich als Übersetzer in China auf, bricht die Vogelgrippe aus. Kurz zuvor hatte er die Holländerin aus der Übersetzerkabine nebenan kennengelernt. Drei Jahre später schließlich ist er das erste registrierte Opfer der Schweinegrippe. Baumgartner muss schließlich seinen Freund bitten: „Sollte ich je wieder Symptome von Verliebtheit zeigen, musst du sofort die Gesundheitspolizei verständigen, versprich mir das.“ Der Freund ist Schriftsteller und heißt, wen wundert es, Wolf Haas. Gegen das Verlieben jedoch kämpft der junge Mann vergebens, denn diese Seuche lässt ihn bald irre werden.
Dass Wolf Haas promovierter Linguist ist, merkt man dem Arrangement seines Romans durchaus an. Schon der Name des Protagonisten ist Programm, bezieht er sich doch auf den amerikanischen Sprachwissenschaftler Benjamin Lee Whorf, der unter anderem mit der Sapir-Whorf-Hypothese berühmt wurde. Derzufolge formt die Sprache unser Denken. Während Whorf vor allem die Sprache der Hopi erforschte, betreibt sein deutscher Wiedergänger mit den vermeintlich indianischen Wurzeln Feldforschung zur Sprache an sich, zu ihrer Gemachtheit. Etwa wenn er fragt: „Ist immer auch ein Zeitbegriff?“ Da unser Held als Übersetzer arbeitet, wirken solche ballastreichen Versuchsanordnungen nicht einmal schwerfällig, sondern geschmeidig und leicht.
Realität erschaffen
Indem die Geschichte, eine Art Bastelroman, immer wieder auf sich selbst als Konstrukt verweist, macht Haas uns augenzwinkernd klar, dass wir es bei seinem Roman zuletzt nur mit Papier und Buchstaben zu tun haben. Der Wiener geht allerdings noch einen Schritt weiter, wenn er, Benjamin Lee Whorf variierend, die These aufstellt, dass nicht nur die Sprache, sondern auch die Schrift unser Denken formt. Das setzt er augenfällig ins Bild. Denn der Schriftsatz des Romans bleibt keinesfalls im üblichen Rahmen: Da lassen sich bestimmte Sätze, etwa das Antinomie-Problem des polnischen Mathematikers Tarski, im wahrsten Sinne des Wortes querlesen - weil die Buchstaben die Seite hinunterzurutschen scheinen. Da werden ganze Passagen auf Chinesisch gedruckt, Noten abgebildet und in eckigen Klammern Merksätze des Autors notiert: „Hier noch London-Atmosphäre einbauen. Leute. Autos. Häuser. 1988. The Blick from the Bridge.“ Dann wieder erscheinen einzelne Worte riesig groß oder aber - und hier sind wir an der „dichtesten Stelle im ganzen Roman“ angelangt - so klein, dass man eine Lupe braucht.
Das Thema von Haas’ Doktorarbeit lautete übrigens „Die sprachtheoretischen Grundlagen der Konkreten Poesie“. Mit ihm, und das ist kein Witz, macht sogar Sprachtheorie Spaß. Denn sein Interesse an der Konstruktion von Wirklichkeit ist unmittelbar an die Frage geknüpft, wie Menschen ihre Realität erschaffen und wie sie über ihre Welt nachdenken. Und das ist eine der ältesten Fragen von Literatur.