William S. Burroughs / Jack Kerouac: Und die Nilpferde kochten in ihren Becken : Der Beat begann mit einem Mord
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Das erste Buch von Kerouac und Burroughs war so nah an der Realität, dass es erst jetzt erscheint.
Es hatte immer wieder Gerüchte gegeben, dass Jack Kerouac und William Burroughs, zehn Jahre bevor sie mit „On the Road“ und „Naked Lunch“ bekannt wurden, in den vierziger Jahren in New York zusammen ein Buch geschrieben hatten. Der Titel, „Und die Nilpferde kochten in ihren Becken“, war in Interviews gefallen, Burroughs selbst hatte mit seinem Biographen Ted Morgan irgendwann sogar ausführlich darüber gesprochen; hatte ihm erzählt, wie sie damals, Kerouac war 22, Burroughs 30, abwechselnd die Kapitel geschrieben, sie einander vorgelesen und auch versucht hatten, das Manuskript bei einer Agentin unterzubringen: „Aber ja doch, Sie haben Talent, Sie sind Schriftsteller!“, sagte die Agentin. Aber es kam nichts dabei heraus, kein Verleger hatte Interesse.
Mord unter Freunden
Dass das Manuskript auch nach der Entstehung der Beat-Literatur bis 2008 unter Verschluss blieb und erst jetzt ins Deutsche übersetzt wurde, hatte aber einen anderen Grund: Es ging um Mord. Nicht um irgendeinen, daherphantasierten Mord, sondern um einen, der sich im Freundeskreis von Kerouac und Burroughs ereignet und im August 1944 eine Woche lang die Schlagzeilen der New Yorker Presse beherrscht hatte: In den Morgenstunden des 14. August rammte der 19-jährige Lucien Carr in dem als Homosexuellentreff bekannten Riverside Park an der Upper West Side dem vierzehn Jahre älteren David Kammerer sein Pfadpfindermesser in die Brust. Kammerer verlor das Bewusstsein, Carr nahm an, er sei tot, band seine Arme mit Schnürsenkeln zusammen, steckte ihm Steine in die Taschen und rollte ihn in den Hudson. 24 Stunden später stellte sich Lucien Carr den Behörden. Am Tag drauf zog man Kammerers Leiche auf der Höhe der 79th West Street ans Ufer.
Lucien Carr und David Kammerer kannten sich seit acht Jahren. Es war eine komplizierte Beziehung, deren Intensität und Heftigkeit auch die drei Freunde zu spüren bekamen, die Lucien in seinem ersten Jahr an der Columbia einander vorgestellt hatte: Allan Ginsberg, wie Carr im ersten Semester; Jack Kerouac, der die Universität eben hingeschmissen hatte; und der Harvard-Absolvent William S. Burroughs, der wiederum Kammerer aus der Schule in St. Louis kannte. Burroughs war der Erste, dem Lucien sich ein paar Stunden nach dem Mord anvertraute, danach ging er zu Kerouac. Der Freund, mit dem sie Tage davor noch zusammen herumgehangen hatten, in der Wohnung, in Bars und Restaurants, wurde einen Monat später zur Höchststrafe von zehn Jahren in einer Besserungsanstalt verurteilt, kam nach zwei Jahren frei, begann als Bürobote bei United Press International, heiratete, bekam drei Söhne, wurde 1956 Redakteur der Abendnachrichten und starb 2005 als renommierter Journalist.
Eine heroische Tat?
Das Manuskript von Burroughs und Kerouac entstand kurz nach der Tat. Als, nach der gescheiterten Veröffentlichung, Carr aus dem Gefängnis kam, wollte er mit der Geschichte nichts mehr zu tun haben, was Kerouac nicht davon abhielt, ihm immer wieder mit dem Manuskript zu kommen. Noch 1959, als er an seinem Roman „Desolation Angels“ arbeitete und nicht weiterkam, versuchte er, Lucien und dessen Frau Cessa umzustimmen, er bewunderte Carrs Tat mittlerweile als heroischen Akt. Aber Carr war nur schockiert, bat um Stillschweigen. Nur einmal gelangten, nach Kerouacs Tod, durch den Biographen Aaron Latham Passagen aus den „Nilpferden“ an die Öffentlichkeit. Lucien Carr geriet aus dem Gleichgewicht, Burroughs intervenierte sofort. Dann war es still.