Roman von Viktor Martinowitsch : Wie aus Menschen Monster werden
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Machtdemonstration in Stein: Dem Bewohner des Stalinhochhauses an der Kotelnitscheskaja-Uferstraße liegt Moskau zu Füßen. Bild: Picture-Alliance
Viktor Martinowitsch zeigt in seinem Roman „Revolution“, wie sich ein Intellektueller zum Dienst an einem Unrechtsregime bekehrt. Dabei lässt er in Moskau literarische Teufelskräfte spuken.
Wie wird ein liberaler Intellektueller zur Stütze eines totalitären Systems? Über diese Frage, die zumal in Russland aktuell ist, wo sich immer wieder kritische Geister zu Systemdienern umdefinieren – nach dem Schriftsteller Sachar Prilepin und dem Theatermacher Eduard Bojakow zuletzt der Regisseur Konstantin Bogomolow mit seinem antieuropäischen „Manifest“ –, hat der belarussische Autor Viktor Martinowitsch seinen neuen Roman geschrieben. Martinowitsch, ein Meister der dystopischen Extrapolation, hatte schon seinen gefeierten Erstling, „Paranoia“, einem phantastischen belarussischen Überwachungsstaat gewidmet.
In „Revolution“, der wieder in poetisch präziser Übersetzung von Thomas Weiler bei Voland & Quist herausgekommen ist, geht der studierte Kunstwissenschaftler einen Schritt weiter. Er versetzt seinen Helden, einen Architektursemiotiker aus Minsk, ins Belarus alimentierende Machtzentrum Moskau, wo er, anfangs unfreiwillig, Geheimdienstmitarbeiter wird. Er habe zeigen wollen, so Martinowitsch, dass Macht vor allem auf dem Willen des Menschen zur Unterordnung beruht. Sein Roman schildert, wie fürstlich ein autoritäres System seine Diener zu belohnen versteht, sie dabei aber auch völlig verwandelt.
Schuldiger in einem künstlich erzeugten Autounfall
„Revolution“ vergegenwärtigt das Moskau des Jahrtausendbeginns als hollywoodesk literarische Travestie, bei der Weilers Anmerkungsapparat dankenswerte Orientierungshilfe leistet. Die Stadt, die den Zuzügler zunächst durch ihr snobistisches Barbarentum beeindruckt, ist Schauplatz eines Teufelsspuks mit vielfältigen Bezügen vor allem zu Michail Bulgakows „Der Meister und Margarita“, aber auch zu Viktor Pelewins Vampirroman „Empire V“ und dem Kult um Alexander Puschkin. Die politischen Marionetten lenkt ein als früherer Sowjetstaatschef verehrter Uraltgeheimdienstler, der, fast wie Bulgakows Voland-Satan, aus dem Nichts auftauchen, Menschen wie offene Bücher lesen, sich aber auch in einen sabbernden Greis verwandeln kann.
Der Nachname des Akademikers, German, verweist auf den Helden von Puschkins „Pique Dame“, der, schwankend zwischen Liebe und Geld, sich für Letzteres entscheidet. Wie dem anderen German gehört auch dem Protagonisten von „Revolution“ das Herz einer schlichten jungen Frau, hier einer mitleidsguten Kellnerin, zu der er von Vorlesungen an einer westlich ausgerichteten Hochschule für Geisteswissenschaften heimkehrt, die an die von Minsk nach Vilnius gezogene Europäische Universität erinnert, wo Martinowitsch heute lehrt. Doch als Schuldiger in einem künstlich erzeugten Autounfall, für den Schadenersatzforderungen durch Hexerei beglichen werden, gerät er ins Netz dämonischer Kräfte.
Beichte an die verratene Geliebte
Dass der Gebieter über deren Netzwerk von seinen Vertrauten „Batja“ (Väterchen) genannt wird, wirkt wie eine Überhöhung des belarussischen Präsidenten Alexander Lukaschenka, dem der herabsetzende Diminutiv des Titels, Batka, als Spitzname anhängt. Der Rollstuhlfahrer mit dem Kopf eines römischen Konsuls erklärt German, durch gezielte Spezialaktionen wende sein Geheimbund gesellschaftliches Chaos ab. Das neue Mitglied muss ab und an – unverzüglich und ohne Nachfrage – „Bitten“ erfüllen: das einsame Sterben eines glücklosen Agenten beaufsichtigen, durch Falschaussagen einen Angeklagten, der an den 2005 verurteilten Michail Chodorkowskij erinnert, hinter Gitter bringen oder ein Baudenkmal als wertlos einstufen und demolieren lassen. Parallel dazu steigt der Lada-Fahrer German auf Luxusjeeps um und fällt steil die Karriereleiter hinauf. Nur ein befreundeter Kollege und die kleine liberal-kritische Öffentlichkeit sind von ihm entsetzt.