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: Singendes Pferd

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"Er war lang und etwas plump, sah wie ein Pferd aus, stammte aus einem Nest in Westpreußen, war scheu und liebenswürdig, schuf nur Formvollendetes, übrigens rein sensuale Sachen, hatte kaum enge Freunde, aber bestimmt keinen Feind, eines Tages (wohl noch im 1. Weltkrieg) verschwand er, man hörte ...

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          "Er war lang und etwas plump, sah wie ein Pferd aus, stammte aus einem Nest in Westpreußen, war scheu und liebenswürdig, schuf nur Formvollendetes, übrigens rein sensuale Sachen, hatte kaum enge Freunde, aber bestimmt keinen Feind, eines Tages (wohl noch im 1. Weltkrieg) verschwand er, man hörte nie von seinem Tod etwas, theoretisch möglich wäre, daß er noch lebt." Die enigmatische Beschreibung des 1921 mit nur 35 Jahren an den Folgen einer Operation verstorbenen Dichters Paul Boldt stammt von Kurt Hiller und ist eine der wenigen, die überliefert sind. Obwohl Boldts Gedichte die Berliner Kritiker zu Begeisterungsstürmen hinrissen, ist der "Kentaur unter den Dichtern", wie Peter Härtling ihn nannte, heute nahezu vergessen. So schattenreich wie seine Biographie ist auch seine Lyrik, die das Berlin der Zehnerjahre in ein verheißungsvolles Dämmerlicht taucht. Die besungenen Geschöpfe, "Friedrichstraßendirnen" und andere "Erwachsene Mädchen", so zwei Titel, findet er an den äußeren Rändern der Nacht, wo sich nicht nur der Mythos mit blutvoller Sinnlichkeit paart: "Steige vom Sockel, Venus, aus zerballter / Wäsche, Jungweib! Wie Morgensonne blitzt / Dein Bauch - und in der Schenkel Schatten sitzt / Wie Blüten saugend, fest, ein schwarzer Falter." Paul Boldts einziger veröffentlichter Gedichtband "Junge Pferde! Junge Pferde!" ist "on demand" jetzt wieder in der Edition Razamba erhältlich, eine beglückende Wiederentdeckung eines der Literaturgeschichtsschreibung verlorengegangenen Expressionisten. (Paul Boldt: "Junge Pferde! Junge Pferde!" Edition Razamba, Norderstedt 2008. 60 S., br., 8,- [Euro].) brey

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