Martin Walsers neues Werk : Freunde sind hier nicht vorgesehen
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Wer in seinem neuen Buch spricht, ist schwer zu sagen, denn das Ich hat viele Namen. Bild: Frank Röth
Martin Walsers neuer Roman „Statt etwas oder Der letzte Rank“ lässt einen Verdammten und Umarmten umarmen und verdammen. Eine nacherzählbare äußere Handlung besitzt dieses Werk nicht.
Wahrscheinlich hat jeder von uns seine eigene Vorstellung von der Hölle, die ihn erwartet, und wahrscheinlich haben die meisten dieser Orte viel weniger mit brodelnden Kesseln und spitzen Heugabeln zu tun als mit unserer Alltagswelt, die dann aber in einem entscheidenden Punkt verfremdet wird. Die Pforten seiner Hölle öffnen sich für den Ich-Erzähler in Martin Walsers heute erscheinendem Roman „Statt etwas oder Der letzte Rank“ mit der Schiebetür zu einem Großraumwagen. Der ist voll besetzt, auch sein reservierter Platz mit der Nummer 41, doch dessen Okkupant ist eigentlich längst tot - der Mann hatte, erinnert sich der Zugestiegene, „vor ein paar Jahren gegen mich agiert. Und war kurz darauf gestorben. Ich musste mich damals richtig zusammenreißen, um diese Todesnachricht nicht mit Wohlgefallen zur Kenntnis zu nehmen.“
Leider sind auch die anderen Plätze im Wagen belegt, allesamt von Toten, an die sich der Reisende noch erinnert, weil sie einst in ganz unterschiedlichen Funktionen „gegen mich gewirkt“ hatten. Nun also erheben die Toten ihre Stimmen, ein grausiger Chor der Anklage gegen den Zugestiegenen, sie wiederholen ihre früheren Verdammungen, „und ich musste alles, was je gegen mich gesagt oder geschrieben wurde, in endloser Wiederholung anhören“.
Ist das Ich immer dasselbe?
Feinde also, nichts als Feinde, und was in diesem Kapitel in verdichteter Form geboten wird, prägt auch weite Teile des übrigen Buchs. Eine nacherzählbare äußere Handlung besitzt dieses als Roman bezeichnete Werk ebenso wenig wie der Ich-Erzähler einen Namen, der über mehrere Abschnitte hinweg Gültigkeit hätte - unklar ist zudem, ob das Ich in diesen 52 kurzen Abschnitten überhaupt immer dasselbe ist, vom Er oder vom Du ganz zu schweigen, die wiederum mit dem Ich verbunden scheinen: „Geständnishaftes gehört in die dritte Person“, heißt es einmal, was aber nicht bedeutet, dass neben dem Er nicht auch jenes Ich gesteht, zugibt oder zu Anschuldigungen der Feinde eifrig nickt, was dann wieder zu neuen Anschuldigungen führt.
So geht das über 170 Buchseiten der permanenten Welt- und Selbstergründung. Feinde sind dauerpräsent, Freunde aber sind in diesem Raum nicht vorgesehen, und wenn, dann entpuppen sie sich gern als falsche: „Ich kenne keinen, den ich, wenn ich ihm sagte, es geht mir gut, nicht gegen mich einnähme“, weiß das Ich. Die Gegner aber haben eigentlich nichts gegen ihn als Person, greifen ihn aber an, um ihre Macht auszuüben oder das Selbstbewusstsein zu stärken.
Das gelingt, weil der öffentlich präsente Erzähler - er schreibt Bücher und kuratiert eine Ausstellung, erfahren wir - ein lohnendes Ziel abgibt. Eine der eingestreuten Anekdoten beschreibt etwa, wie eine banale Äußerung über Adorno auf einer Diskussionsveranstaltung zum Ausgangspunkt einer medialen Kampagne gegen ihn wird. Das hat geradezu physische Folgen, für ihn wie für den attackierenden Journalisten: Der nämlich brüstet sich, plötzlich um einige Zentimeter gewachsen zu sein, während sein Opfer schrumpfte und erst dann wieder wachsen kann, als es nach Amerika flieht, weit weg von den Feinden.