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Rezension: Belletristik : Sticht sternenwärts

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Adolf Endlers Gedichte · Von Sabine Brandt

          5 Min.

          Im nächsten Jahr wird der Lyriker Adolf Endler siebzig, und rechtzeitig erscheint bei Suhrkamp ein Band mit Gedichten und Prosa. Rechtzeitig heißt, dass man sich mit dem Dichter vertraut machen kann, ehe Feiern seine Bedeutung umwölken. Aber kennen wir ihn nicht längst? Manch einer wird das von sich behaupten dürfen, viele Deutsche aber, vor allem in den alten Bundesländern, könnten ratlos gucken. Damit sind wir beim Thema, einem, das dem Poesieverehrer kunstfeindlich klingen mag und doch aus der Dichtung nicht wegzudenken ist: bei der Politik. Auf der Reise durch Endlers Schaffensjahrzehnte in der Suhrkamp-Sammlung wird diese Bindung dem Kenner sofort deutlich. Da wir aber, was Endlers Lebens- und Arbeitsumstände betrifft, keine breite Kennergemeinde voraussetzen, schauen wir uns das Stück Historie genauer an, das ihm zuteil wurde. Der Dichter Endler ist ein Produkt und ein Protokollant deutscher Zeitgeschichte.

          Er war um die zwanzig und wohnte im heimischen Düsseldorf, als er seine ersten Verse versuchte. Die wenigsten lässt er heute noch gelten, auch wir müssen uns nicht mit ihnen befassen. Reden aber müssen wir von seiner politischen Haltung: ein blutjunger Nachkriegsdeutscher, sah er mit Abscheu auf das, was die Generation der Eltern angerichtet hatte. Wie viele seiner Altersgefährten, fühlte er sich zum Aufbau einer besseren Welt berufen, und zwar nach dem einzig rechten Rezept, dem strikten Antifaschismus. Also lieh er sein Ohr den Verkündern des strikten Programms, den Kommunisten. In Deutschland herrschte Kalter Krieg, der junge Endler bekam Ärger, als er 1951 für die Ost-Berliner Weltjugendfestspiele warb. Vier Jahre später ging er in die DDR.

          1955 konnte es keinen Zweifel mehr geben, welchen Prinzipien der kommunistische deutsche Staat gehorchte, es sei denn, jemandes Horizont war mit Gesinnungskulissen verbaut. Darum mühte sich, auch im Falle Endler, die Partei. Sie verschaffte dem Zuwanderer das Hochgefühl, an Aufbauunternehmen fortschrittlicher Jugend beteiligt zu sein; in Reportagen und Gedichten, gesammelt im 1960 erschienenen Band "Weg in die Wische", berichtete er davon. Sie schickte ihn zum Lernen ins Leipziger Literaturinstitut, eine Gründung des orthodoxen Kulturfunktionärs Alfred Kurella, seit 1958, nachdem der Kulturminister und Kurella-Feind Becher tot war, mit dem Namen "Johannes R. Becher" geschmückt. Die SED ließ nichts aus, schien aber von ihrem pädagogischen Erfolg wenig überzeugt zu sein. Ihr "Deutsches Schriftsteller-Lexikon" verschwieg in seinen ersten Ausgaben von 1960 und 1961 den jungen Nachwuchs aus dem Westen. Erst die Edition von 1967 erwähnte ihn, aber kurz und ohne Zuneigung. Dies, obwohl Endler im Jahr davor, zusammen mit Karl Mickel, eine Lyrik-Anthologie unter dem DDR-marktgerechten Titel "In diesem besseren Land" herausgegeben hatte.

          Ihm zeigte sich um diese Zeit die DDR schon nicht mehr als gutes, geschweige besseres Land. 1963 waren Wolf Biermann samt seinem Förderer Stephan Hermlin, Reiner Kunze, Bernd Jentzsch und Rainer Kirsch wegen ihrer "kritischen Lyrik" in Ungnade geraten. Auch Endler bekam als Schilderer "gebrochener Gefühle" sein Fett ab. In seiner Antwort an den "ungebrochenen Rezensenten" motzte er: "Wie ist ein ungebrochenes Gefühl? Mit glatten Rändern? / Meins jubelt heute, morgen schon in Not! / Meins ist gebrochen. Kann ich es denn ändern? / Willst aber du es ändern, schlag mich tot!" Diese Verse, man kann sie im neuen Suhrkamp-Band nachlesen, schrieb Endler 1963, doch veröffentlichen konnte er sie erst zwölf Jahre später. Nach dem Machtantritt Honeckers also, dessen Verheißung kulturpolitischer Toleranz, "wenn man von der festen Position des Sozialismus ausgeht", in den Ohren der Kulturschaffenden süß klang. Wie sie alle übersah Endler, dass Honecker der Hauptakteur des 11. ZK-Plenums von 1965 gewesen war, des kulturpolitischen Autodafés für alle nicht total SED-konformen Ideen, kämen sie auch aus den Köpfen aufrichtiger Parteigänger. Doch wer jahrelang für die Schublade dichtet und dann vor offenen Verlagstüren steht, kann politische Zusammenhänge mal vergessen. Sie bringen sich später von alleine wieder zur Geltung.

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