Rezension: Belletristik : Orientalisches Doppel
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Kein Exot ohne Etikett: Die Anthologie "Morgen Land" · Von Kristina Maidt-Zinke
Die Anthologie "Morgen Land" ist vor Ausbruch des Leitkulturstreits erschienen, doch erst jetzt kommt die Provokation, die im Untertitel "Neueste deutsche Literatur" mitschwingt, zur Geltung. Der schmale, mit Fotos und Zeichnungen aufgelockerte Band versammelt Texte von Autoren, die ausländische Eltern haben, aber in Deutschland aufgewachsen sind, hier leben und arbeiten und Wert darauf legen, daß sie nicht transkulturelle Verständigungsprosa produzieren, sondern zur deutschen Literatur-Avantgarde zählen. Letztere werde, so Herausgeber Jamal Tuschick im Nachwort, "an den ethnischen Rändern der Gesellschaft intensiv befruchtet". Anders als ihre Vorgänger aus der Migranten-Generation müßten die jüngeren, vom "Glück der späten Geburt" begünstigten Schriftsteller ihre Publikationszusammenhänge nicht im Lebenshilfenetz der von Sozialarbeitern betreuten "Ausländerkultur" suchen: Die Kinder der Einwanderer, emanzipiert durch ihre Bildung und über den Topos der Migration literarisch hinausgewachsen, seien in der Lage, ihre "Chance zur doppelten kulturellen Auswahl", die Sprache und die Themen betreffend, offensiv und kreativ zu nutzen.
Das leuchtet ein wie Aladdins Wunderlampe, und entsprechend verführerisch klingt Tuschicks These, hier sei das "Morgenland" der deutschen Literatur zu entdecken - eine Metapher, die orientalische Märchenwelten und eine hoffnungsfrohe Zukunft evoziert. In der Schreibweise "Morgen Land" wird der Titel zur saloppen Grußformel, frei nach dem Muster von "Happy Birthday Türke", an einen vorerst namenlosen Lebensraum, der morgen zur Heimat werden könnte. Gar so verbindlich geht es im Innern des Buches nicht zu. Da schreibt Vito Avantario in einer Polemik, die kaum schärfer hätte ausfallen können: "Denn nur dann kann der verklemmtalemanne das fremde ertragen, wenn er es nicht mehr erkennt erst dann wird der gründlichalemanne seinen umerziehungsauftrag erfüllt haben wenn er in deutscher wertarbeit und in dinnorm sein kümmelanpassungsprogramm in siebeneinhalb millionen kanakenhirne montiert hat nur dann wird verklemmtalemanne frieden geben wenn der kanake so ist wie er."
Avantario, 1965 in Hamburg geboren, ist italienischer Abstammung und von "Kümmelanpassungsprogrammen" weniger betroffen, was ihn nicht hindert, sich als "Kanak" zu fühlen. Für den Aufstieg dieser Bezeichnung vom Schimpfwort zur "Ordenskategorie" zeichnet bekanntermaßen Feridun Zaimoglu verantwortlich, der mit seinem Buch "Kanak Sprak" vor fünf Jahren das türkisch-neudeutsche Misch-Idiom als "Sprache des Aufstands" literaturfähig machte.