Rezension: Belletristik : Liz Taylors Doppelgängerin
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Gescheppert: Ferdia Mac Anna und der Schiffsinspektor
Ein Vater verschwindet spurlos. Aber ist das schon eine Geschichte? Der irische Autor Ferdia Mac Anna scheint das zu glauben. Anläßlich eines nostalgischen Heimatbesuchs besinnt sich Daniel, der jüngste Sohn der Buckleys, darauf, wie das Leben in der zurückgelassenen Familie weiterging. Dabei hat es zunächst den Anschein, als würde sich die Mutter, die Kathleen heißt, aber Liz Taylor ähnelt, zur handlungstragenden Figur entwickeln. Denn sie geht in die Politik und landet bald im Parlament. "Sie ist wie Penelope in der griechischen Sage", sagt einer ihrer Bewunderer: "Nur, daß sie sich, während ihr Gatte fort ist, für die irische Nation einsetzt, statt zu weben." Leider handelt es sich bei Liz Taylors Doppelgängerin um keine politische Begabung, sondern um einen herrischen Dickkopf von seltener Borniertheit, vor dem jeder Mann die Flucht ergriffen hätte. Zu Kathleens Heldentaten gehört ein Briefwechsel mit ihrem Bischof, in dem sie die Demontage der Wasserspeier am Kirchendach verlangt, weil sie einen Schatten werfen und ihre Blumenzucht behindern. Ihre allseitige Beliebtheit bleibt ein ebensolches Rätsel wie der Umstand, daß dieser Haudegen aus Kummer über den fehlenden Gatten verrückt wird.
Den Kater der Buckleys nennt Mac Anna Ullysses. Der Autor scheint vom Ehrgeiz besessen, in seinem zweiten Roman ein Gegenstück zu Joyce' Hauptwerk aus der Perspektive des Sohnes zu schreiben. Doch der scherenschnittartigen Mutter fehlt Mollys Innenleben. Die übrigen Figuren bleiben nicht weniger flach. Der Erzähler hat eine Freundin, auf die er den Leser neugierig macht. Aber sie taucht nur noch einmal auf, und das, um ihn zu verlassen. Daniel wird nach abgebrochenem Studium Quarantänebeamter im Flugverkehr. Wir erfahren ein wenig von seinen Kollegen, von den Witzen, die sie reißen, aber ansonsten ist auch der Flughafen ein blindes Motiv. Das Auto des Vaters wird eines Tages im Hafen entdeckt. Ein Hauch von Spannung kommt auf. Doch als man es an Land zieht, ist es leer. Der Erzähler hat kein klares Verhältnis zum Erzählten. Der Spannungsaufbau, sofern man von einem solchen sprechen kann, enthält gravierende Fehler. Kathleens Wahnsinn bricht aus, als sie bei einer Geburtstagsfeier die Rückkehr des Vaters ankündigt. Wir teilen die Erregung des Erzählers nicht, denn ein Sprung in die Zukunft hat uns bereits darüber aufgeklärt, daß der Vater auch Jahre später vermißt wird.
Nicht zuletzt sind es die scheppernden Metaphern, die die Lust an der Lektüre verderben. Die Wangen einer älteren Dame waren "gerötet wie ein versohlter Hintern", das Flughafenpersonal rennt bei der Meldung, daß ein Hund auf dem Rollfeld sei, "ziellos durcheinander wie alte Junggesellen auf einem Heiratsmarkt", und die Gegenwart des Vaters war in Daniels Erinnerungsvermögen "verblaßt, wie ein Drachen, der bei starkem Wind davonfliegt". Daß die Freundin ihm als "eine Art weiblicher Porsche" vorkam, "den nur ich fahren konnte", fällt da als Geschmacklosigkeit kaum noch auf.
Ein Lichtblick in diesem sonst belanglosen Buch ist die Figur des großen Bruders. Seine vaterlose Aufsässigkeit wirkt überzeugend, und seine über die Dörfer führende Karriere als New-Wave-Star hat tragikomische Höhepunkte. Leider diktiert nicht er den Roman, sondern sein orientierungsloser Bruder. Daniel erläutert seine Entscheidung für einen praktischen Beruf mit einer Beckett-Vorlesung, die er im College gehört hat: "Ich war neunzehn und hatte es satt, Leuten zuzuhören, die sich anscheinend dazu berufen fühlten, alles komplizierter zu machen, als es in Wirklichkeit ist." "Der Schiffsinspektor" macht alles einfacher als die Wirklichkeit, indem er sich um jeden Zusammenhang drückt. Was bleibt, ist das Rohmaterial der Literatur: die Realität mit ihren flüchtigen Kausalketten. Den Hund auf der Startbahn hat man bald wieder eingefangen, und die Wasserspeier werden von der Kirchenleitung abmontiert. INGEBORG HARMS
Ferdia Mac Anna: "Der Schiffsinspektor". Roman. Aus dem Englischen übersetzt von Rudolf Hermstein. Luchterhand Verlag München 1998. 355 S., geb., 39,80 DM.