Rezension: Belletristik : In Liebesdingen ging der Platzhirsch nicht auf Sendung
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Der Meister aller hybriden Formate: Feridun Zaimoglu wildert / Von Christoph Bartmann
Idiome gibt es, die muten so natürlich an, daß man kaum glauben möchte, daß einer sie erfunden hat. Als Feridun Zaimoglu vor ein paar Jahren aus den Zungenschlägen türkischer Jugendlicher in Deutschland die "Kanak Sprak" formte, war das mehr als nur ein dokumentarisches Bemühen. Es ging mit diesem neuen Pidgin ein Kunstwollen einher und eine Kampfansage an eine in Zaimoglus Augen und Ohren erschlaffte Gegenwartsliteratur. Zaimoglu suchte, wie es aussah, Streit, ohne ihn aber wirklich zu finden. Statt dessen beförderten ihn seine Berichte "vom Rande der Gesellschaft" umgehend in die Mitte des literarischen Lebens. Rasch avancierte Zaimoglu, hinter dessen strategischem Kraftmeiertum sich ein eher intellektuelles Temperament verbirgt, zum Meister aller "hybriden Formate". Der Autor selbst leistete der Multikulti-Rubrizierung Vorschub, indem er sich als crosskultureller Hipster gegen zwar reinrassige, aber leider impotente deutsche Jünglinge und ihre "Knabenwindelprosa" in Stellung brachte.
Mit Zaimoglus Posen, mit seiner Attitüde, mit dem Spruch und der dicken Lippe, die er gern riskiert, ist man auch schon im Innern seiner Literatur. Sein erster Roman, "Liebesmale, scharlachrot", zeigt einen Autor am Werk, der seine Themen einer bestimmten, halb ge-, halb erfundenen Sprache abgewinnt und diese Sprache wiederum einer bestimmten sozialen Wettbewerbssituation, nämlich dem männlichen Kampf um den besten und lockersten Spruch. Der Zorn der frühen Jahre ist bei Zaimoglu der Rap-Arabeske gewichen; "inner-anatolischer Barock" ist eine von Zaimoglus Formeln dafür. "Hochverehrter Kumpel, mein lieber Hakan, Sammler der heiligen Vorhäute Christi", so lautet Serdars Anrede an Hakan im ersten Brief von Zaimoglus Briefroman. Damit ist der Ton des Romans angeschlagen, der Ton einer freundschaftlich ritualisierten Überbietungskonkurrenz zweier "Kanakster", die ihr Argot genauso aufpoliert haben wie ihre reflektierenden Gletscherbrillen, die sie auch im Dunkeln tragen. Wobei zu erwähnen ist, daß nur der eine der beiden, nämlich Hakan, eine lupenreine "Kanak Sprak" praktiziert, während Serdar, die Hauptfigur, sein ganz eigenes Kunstwelsch zum besten gibt. "Ich bin gesund", läßt er sich im ersten Brief vernehmen, "und verspüre allerlei Munterkeiten, und ich bin heil und ohne Gram, ohne ein Gramm Verlust jener Transzendenz, die mein hochkörperliches Wesen in meiner kalten Heimat ausstrahlte, an der Westküste des türkischen Festlandsockels angekommen."